Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
religiösen Weg.‹ Wissen Sie noch? Das hat mich verwirrt.«
»Vielleicht habe ich mich nicht klar ausgedrückt. Ich liebe die Religion, aber ich hasse den Aberglauben.«
Franco nickte. »Ja, so habe ich Sie auch verstanden – dass ich Verständnis, Mitgefühl und Vergebung zeigen soll. Richtig?«
Bento nickte.
»Also gibt es in der Thora auch einen moralischen Verhaltenskodex und nicht nur Geschichten über Wunder.«
»Fraglos ist das so, Franco. Meine Lieblingsgeschichte aus dem Talmud ist die von einem Heiden, der zu Rabbi Hillel kam und sagte, dass er unter der Bedingung Jude werden wolle, dass der Rabbi ihn in der Zeit die ganze Thora lehrt, während er auf einem Fuß steht. Hillel antwortete ihm: ›Was dir zuwider ist, das füge auch deinem Nächsten nicht zu. Das ist die ganze Thora, und alles andere ist nur Kommentar. Und nun geh und studiere sie.‹«
»Sehen Sie, Sie mögen ja doch Geschichten …«
Bento setzte zu einer Antwort an, aber Franco verbesserte sich schnell: »… nun, immerhin eine Geschichte. Geschichten können eine Gedächtnisstütze sein. Für viele viel wirksamer als nackte Geometrie.«
»Ich verstehe, was Sie meinen, Franco, und ich bezweifle nicht, dass Ihr Studium tatsächlich Ihren Geist schärft. Sie verwandeln sich in einen wunderbaren Debattierpartner. Es ist sonnenklar, weshalb Rabbi Mortera Sie ausgewählt hat. Heute Abend werde ich einen Teil meiner Arbeiten mit Kollegianten, das sind Mitglieder eines Philosophie-Clubs, diskutieren, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass es in diesen Zeiten möglich wäre, Sie dazu einzuladen. Für Ihre Kritik wäre ich viel aufgeschlossener als für die irgendeines anderen Teilnehmers.«
»Es wäre mir eine Ehre, etwas von Ihnen zu lesen. In welcher Sprache schreiben Sie? Mein Holländisch macht Fortschritte.«
»Leider auf Latein. Hoffen wir, dass Latein das Thema Ihrer zweiten Ausbildung sein wird, denn ich bezweifle, dass es jemals eine holländische Übersetzung geben wird.«
»Ich habe die Grundlagen der lateinischen Sprache im Rahmen meiner katholischen Ausbildung gelernt.«
»Sie müssen eine umfassende Ausbildung in Latein anstreben. Rabbi Menasseh und Rabbi Mortera beherrschen Latein sehr gut und könnten es Ihnen ermöglichen. Vielleicht werden sie Sie ja dazu ermutigen.«
»Rabbi Menasseh ist letztes Jahr gestorben, und ich muss leider sagen, dass Rabbi Mortera zusehends gebrechlicher wird.«
»Oh, schlechte Nachrichten. Aber Sie werden andere finden, die Ihnen Mut machen werden. Vielleicht gibt es ja die Möglichkeit für Sie, ein Jahr in der Yeshiva in Venedig zu studieren. Es ist wichtig: Latein eröffnet eine ganz neue …«
Franco stand plötzlich auf und eilte ans Fenster, um den drei Gestalten nachzusehen, die gerade vorübergegangen waren. Er drehte sich wieder um: »Es tut mir leid, Bento, ich dachte, ich hätte jemanden aus unserer Gemeinde gesehen. Ich bin mehr als nur ein wenig nervös, dass mich jemand hier sehen könnte.«
»Ja, zu meiner Frage nach dem Risiko sind wir noch gar nicht gekommen. Sagen Sie mir, wie groß ist Ihr Risiko, Franco?«
Franco neigte den Kopf. »Es ist sehr groß – so groß, dass es das Einzige ist, was ich nicht mit meiner Frau besprechen kann. Ich kann ihr nicht sagen, dass ich alles aufs Spiel setze, was wir uns in dieser neuen Welt so mühevoll aufgebaut haben. Es ist ein Risiko, das ich nur für Sie eingehe und sonst für niemanden auf dieser Welt. Und ich muss mich schon bald verabschieden. Ich habe keinen triftigen Grund, den ich meiner Frau oder den Rabbinern für meine Abwesenheit nennen könnte. Ich überlegte schon, ob ich, wenn mich jemand sähe, lügen und sagen sollte, dass Simon mich wegen eines Unterrichts in Hebräisch angesprochen hätte.«
»Ja, daran dachte ich ebenfalls schon. Aber erwähnen Sie besser nicht Simons Namen. Meine Verbindung zu ihm ist bekannt, zumindest in der nichtjüdischen Welt. Es ist besser, wenn Sie den Namen von jemand anderem nennen könnten, den Sie hier getroffen haben könnten, vielleicht Peter Dyke, der ein Mitglied des Philosophie-Clubs ist.«
Franco seufzte: »Wie traurig, sich in das Land der Lüge begeben zu müssen. Das ist ein Gebiet, das ich seit meinem Verrat an Ihnen nie mehr betreten habe, Bento. Aber bevor ich gehe, erzählen Sie mir bitte noch etwas von Ihren philosophischen Fortschritten. Wenn ich dann Latein lerne, könnte Simon vielleicht Ihr Werk für mich verfügbar machen. Aber für den Augenblick
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