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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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bankrott.
    Alfred legte das Buch weg, bettete den Kopf auf das Kissen und versank in Meditation. Mein Mythus hat mir so viel Freude bereitet, aber auch so viele Qualen! Diese hohlköpfigen Literaturkritiker – jeder Einzelne von ihnen verwendete den Begriff unbegreiflich . Warum habe ich darauf nicht reagiert? Warum fragte ich sie nicht in einem offenen Brief, ob sie einmal daran gedacht haben, dass mein Schreibstil vielleicht zu scharfsinnig und komplex für Insektengehirne sein könnte? Warum erinnerte ich sie nicht an die Konsequenzen einer Kollision zwischen Durchschnittsgeistern und großen Werken: Die Unterlegenen attackieren zwangsläufig die überlegenen Denker. Was will die Öffentlichkeit? Sie ruft nach der dummen Vulgarität Julius Streichers. Selbst Hitler zieht Streichers Prosa vor. Jedes Mal dreht er mir das Messer in der Wunde um, wenn er mich daran erinnert, dass Streichers Revolverblatt Der Stürmer sich regelmäßig besser verkauft als mein Beobachter .
    Und allein der Gedanke daran, dass kein Einziger in der NSDAP-Führungsriege meinen Mythus gelesen hat! Nur Hess war so aufrichtig gewesen, mir schuldbewusst zu gestehen, dass er es ernsthaft versucht hatte, aber mit der schwierigen Prosa nicht zurechtgekommen war. Die anderen sprachen mich kein einziges Mal auf das Buch an. Man stelle sich das vor – ein herausragender Bestseller, und diese neidischen Drecksäcke ignorieren mich einfach. Aber warum sollte ich mich darüber aufregen? Was konnte ich von diesem Haufen schon erwarten? Das Problem ist Hitler, es ist immer Hitler. Je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich, dass mein Abstieg an dem Tag begann, an dem ich hörte, dass Goebbels jedem erzählte, dass Hitler den Mythus , nachdem er erst ein paar Seiten daraus gelesen hatte, zur Seite geworfen und gerufen hatte: »Wer kann dieses Zeug verstehen?« Ja, damit hat er mir den Todesstoß versetzt. Am Ende ist es nur Hitlers Urteil, das zählt. Aber wenn es ihm nicht gefiel, warum hat er es dann in jede Bücherei stellen lassen und es auf der offiziellen NSDAP-Parteikarte als notwendige Lektüre aufgelistet? Er befiehlt sogar der Hitlerjugend, es zu lesen. Warum tut er das und weigert sich gleichzeitig beharrlich, sich hinter mein Buch zu stellen?
    Ich kann seine Haltung in der Öffentlichkeit verstehen. Ich weiß, dass die Unterstützung der Katholiken für seine Position als Führer noch immer unabdingbar ist, und natürlich kann er ein Werk nicht öffentlich unterstützen, das so unverhohlen antichristlich ist. In den zwanziger Jahren, als wir jung waren, war Hitler mit meiner antireligiösen Haltung vollkommen einverstanden gewesen. Und ich weiß, dass es noch immer so ist. Im privaten Bereich geht er sogar noch weiter als ich – wie oft hörte ich ihn sagen, dass er die Pfarrer gleich neben den Rabbis aufhängen wolle! Ich verstehe seine öffentliche Haltung. Aber warum sagt er mir kein Wort der Bestätigung, wenn wir unter uns sind? Warum lädt er mich nicht ein einziges Mal zum Mittagessen und zu einem privaten Gespräch ein? Hess erzählte mir, dass Hitler, als der Erzbischof von Köln sich bei ihm über den Mythus beschwerte, ihm geantwortet hatte: »Ich kann mit dem Buch nichts anfangen. Das weiß Rosenberg. Ich habe es ihm gesagt. Ich will nichts über heidnische Bräuche wie den Wotankult und so weiter hören.« Als der Erzbischof sich damit nicht zufriedengab, verkündete Hitler: »Rosenberg ist unser Parteidogmatiker«, und dann tadelte er den Erzbischof dafür, dass er die Verkaufszahlen des Mythus durch seine vehementen Attacken nur noch weiter in die Höhe treibe. Und als ich anbot, aus der Partei auszutreten, wenn mein Mythus ihn in Verlegenheit brächte, wischte er diesen Vorschlag einfach beiseite – und lud mich wiederum nicht zu einem Gespräch unter vier Augen ein. Und dabei trifft Hitler sich ständig privat mit Himmler, und Himmler ist noch unverblümter und aggressiver antikatholisch als ich.
    Ich weiß, dass er in gewisser Hinsicht Respekt vor mir hat. Er hat mir einen wichtigen Posten nach dem anderen angeboten: diplomatische Aufgaben in London, dann in Norwegen, dann Chef der ideologischen Ausbildung der NSDAP und der Deutschen Arbeitsfront und aller ihr zugehörigen Organisationen. Wichtige Positionen. Aber warum erfuhr ich von meinen Ernennungen nur brieflich? Warum ruft er mich nicht in sein Büro, schüttelt mir die Hand, setzt sich mit mir zusammen und redet mit mir? Bin ich so abstoßend?
    Ja,

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