Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
das Angebot des Rabbis von mir verlangt, unaufrichtig zu leben und daher Gott nicht zu ehren. Das werde ich niemals tun. Ich werde keiner Macht auf Erden folgen, außer meinem eigenen Gewissen.«
Rebecca begann zu schluchzen. Sie legte die Hände hinter ihren Kopf, schaukelte vor und zurück und sagte: »Ich verstehe dich nicht, verstehe dich nicht, verstehe dich nicht.«
Bento ging zu ihr hin und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie schüttelte sie ab, hob den Kopf und drehte sich zu Gabriel um: »Du warst damals zu jung, aber ich erinnere mich, als sei es erst gestern gewesen, wie unser seliger Vater damit prahlte, dass Rabbi Mortera ihm gesagt hätte, Bento sei der beste Schüler, den er je gehabt hätte.«
Sie sah Bento an, und Tränen strömten über ihr Gesicht. »Der schlaueste und der scharfsinnigste, hat er gesagt. Wie unser Vater strahlte, als er hörte, dass du vielleicht der nächste große Gelehrte, vielleicht sogar der nächste Gersonides sein würdest. Dass du den bedeutenden Thora-Kommentar des siebzehnten Jahrhunderts schreiben würdest! Der Rabbi glaubte an dich. Er sagte, dass dein Kopf nichts vergisst, was du je gelernt hast, und dass keiner der Gemeindeältesten dir bei einer Debatte das Wasser reichen könnte. Aber nun, trotz alledem, trotz deiner gottgegebenen Begabung, sieh an, was du angerichtet hast. Wie konntest du das alles wegwerfen?« Rebecca nahm das Taschentuch, das Gabriel ihr hinhielt.
Bento hockte sich vor Rebecca, um ihr direkt in die Augen sehen zu können, und sagte: »Rebecca, versuche bitte zu verstehen. Vielleicht verstehst du es jetzt noch nicht, doch irgendwann in der Zukunft wirst du vielleicht verstehen, was ich dir jetzt sage: Ich habe meinen eigenen Weg wegen meiner Begabungen gewählt, nicht trotz ihrer. Verstehst du? Wegen meiner Begabungen, nicht trotz ihrer.«
»Nein. Das verstehe ich nicht , und ich werde dich niemals verstehen, obwohl ich dich seit deiner Geburt kenne, obwohl wir drei nach dem Tod unserer Mutter so viele Jahre lang im selben Bett geschlafen haben.«
»Ich erinnere mich«, sagte Gabriel. »Ich erinnere mich, wie wir gemeinsam im Bett lagen und du uns Geschichten aus der Bibel vorgelesen hast, Bento. Und wie du Rebecca und Miriam heimlich das Lesen beigebracht hast. Ich erinnere mich, dass du sagtest, es sei so ungerecht, dass Mädchen nicht lesen lernen dürften.«
»Das habe ich meinem Gatten erzählt«, sagte Rebecca. »Ich sage ihm alles, ich erzählte ihm, dass du uns unterrichtet hast, dass du uns vorgelesen hast und alles in Frage gestellt hast, die ganzen Wunder. Und dass du immer zu Vater gelaufen bist und ihn gefragt hast: ›Vater, Vater, ist das wirklich passiert?‹ Ich erinnere mich, dass du uns von Noah und der Flut erzählt hast und dass du Vater fragtest, ob Gott wirklich so grausam sein konnte. Du fragtest: ›Warum hat er alle ertränkt? Und wie hat die menschliche Rasse wieder von vorn angefangen?‹ Und: ›Wen konnten Noahs Kinder denn heiraten?‹ Die gleiche Frage, die du zu Kain und Abel gestellt hast. Samuel glaubt, dass das die ersten Anzeichen deines Leidens waren. Ein Fluch von Geburt an. Manchmal denke ich, dass ich daran schuld bin. Ich habe meinem Gatten gebeichtet, dass ich bei deinen Bemerkungen, bei deinen gotteslästerlichen Reden, immer kichern musste. Vielleicht habe ich dich ermutigt, so zu denken.«
Bento schüttelte den Kopf. »Nein, Rebecca, du brauchst dir nicht die Schuld für meine Neugier zu geben. Sie liegt in meiner Natur. Warum wollen wir immer die Schuld für etwas auf uns nehmen, dessen Gründe außerhalb von uns liegen? Weißt du noch, wie Vater sich die Schuld am Tod unseres Bruders gegeben hat? Wie oft hörten wir ihn sagen, dass Isaak niemals die Pest bekommen hätte, wenn er ihn nicht in die anderen Stadtteile geschickt hätte, um Kaffeebohnen auszuliefern. Das ist der Lauf der Natur. Wir können sie nicht beherrschen. Die Schuld auf uns zu nehmen ist nur eine Methode, der Täuschung zu unterliegen, wir seien mächtig genug, die Natur zu beherrschen. Und, Rebecca, du sollst wissen, dass ich deinen Gatten achte. Samuel ist ein braver Mann. Es ist nur so, dass wir unterschiedlicher Meinung sind, was den Ursprung des Wissens angeht. Ich glaube nicht, dass Hinterfragen ein Leiden ist. Blinder Gehorsam, ohne nachzufragen, das ist das Leiden.«
Rebecca hatte keine Antwort darauf. Die drei verfielen in Schweigen, bis Gabriel fragte: »Bento, ein immerwährender Cherem ? Gibt es so etwas
Weitere Kostenlose Bücher