Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
überhaupt? Davon habe ich noch nie gehört.«
»Ich bin sicher, dass sie genau das tun werden, Gabriel. Rabbi Mortera sagte, sie müssen es tun, um den Holländern zu zeigen, dass wir uns selbst regieren können. Vielleicht ist es das Beste für alle. Diese Entscheidung wird dich und Rebecca wieder mit eurer Gemeinde vereinen. Ihr werdet euch den anderen anschließen müssen und den Cherem beachten. Ihr müsst euch an der Ächtung beteiligen. Ihr müsst wie alle anderen dem Gesetz gehorchen und mich meiden.«
»Das Beste für alle, Bento«, fragte Gabriel. »Wie kannst du so etwas sagen? Wie kann es für dich am besten sein? Wie kann es am besten sein, unter Menschen zu leben, die dich verachten?«
»Ich werde nicht hierbleiben; ich werde woanders leben.«
»Wo könntest du leben?«, fragte Rebecca. »Willst du vielleicht zum Christentum übertreten?«
»Nein. Da kann ich dich beruhigen. Ich finde viel Weisheit in den Worten Jesu. Sie ähneln der zentralen Botschaft in unserer Bibel. Aber ich werde mich niemals irgendwelchen abergläubischen Ansichten zu einem Gott verschreiben, der wie jeder andere Mensch einen Sohn hat und der ihn auf eine Mission schickt, um uns zu retten. Wie alle anderen Religionen, unsere eingeschlossen, stellen sich die Christen einen Gott vor, der menschliche Attribute besitzt, menschliche Wünsche und Bedürfnisse.«
»Aber wo wirst du leben, wenn du Jude bleiben willst?«, fragte Rebecca. »Ein Jude kann nur mit Juden zusammenleben.«
»Ich werde einen Weg finden, ohne jüdische Gemeinde zu leben.«
»Bento, du magst begabt sein, aber du bist auch ein einfältiges Kind«, sagte Rebecca. »Hast du das wirklich durchdacht? Hast du Uriel da Costa vergessen?«
»Wen?«, fragte Gabriel.
»Da Costa war ein Häretiker, über den Rabbi Modena, der Lehrer von Rabbi Mortera, einen Cherem verhängt hat«, sagte Rebecca. »Du warst damals noch ganz klein, Gabriel. Da Costa hat alle unsere Vorschriften in Frage gestellt – die Thora, das Scheitelkäppchen, die Tefillin , die Beschneidung, sogar die Mesusas an unserer Tür – genau wie dein Bruder. Und das Schlimmste von allem: Er leugnete die Unsterblichkeit unserer Seele und das Wiederauferstehen unseres Fleisches. Nacheinander verhängten weitere jüdische Gemeinden in Deutschland und Italien einen Cherem über ihn und verstießen ihn. Niemand wollte ihn hier haben, aber er flehte uns immer wieder an, ihn wieder aufzunehmen. Schließlich nahmen wir ihn wieder auf. Dann fing er wieder mit seinen Verrücktheiten an. Und wiederum bettelte er um Vergebung, und die Synagoge hielt eine Bußzeremonie ab. Du warst damals viel zu jung, Gabriel, aber Bento und ich haben diese Zeremonie gemeinsam gesehen. Weißt du noch?«
Bento nickte, und Rebecca fuhr fort: »In der Synagoge musste er sich entkleiden und bekam neununddreißig Peitschenhiebe auf den Rücken, und als die Zeremonie vorüber war, musste er sich auf die Türschwelle legen, und alle Mitglieder der gesamten Gemeinde traten auf ihn, als sie hinausgingen. Und alle Kinder rannten hinter ihm her und haben ihn angespuckt. Wir haben uns nicht daran beteiligt – Vater hat es nicht erlaubt. Kurze Zeit später nahm er eine Muskete und schoss sich in den Kopf.
Das geschieht mit solchen Leuten«, sagte sie und wandte sich Bento zu. »Es gibt kein Leben außerhalb der Gemeinde. Ihm ist es nicht gelungen, und dir wird es auch nicht gelingen. Wie willst du leben? Du wirst kein Geld haben – du wirst in dieser Gemeinde keinen Beruf ausüben dürfen –, und Gabriel und mir wird es verboten sein, dir zu helfen. Miriam und ich haben unserer Mutter geschworen, dass wir uns um dich kümmern werden, und Miriam bat mich auf dem Totenbett, auf dich und Gabriel achtzugeben. Aber nun kann ich nichts mehr tun. Wie wirst du leben?«
»Ich weiß es nicht, Rebecca. Ich habe nur wenige Bedürfnisse. Das weißt du. Sieh dich um.« Er wies mit dem Arm über das Zimmer. »Ich komme mit Wenigem zurecht.«
»Aber antworte mir: Wie wirst du leben? Ohne Geld, ohne Freunde?«
»Ich denke daran, mir mit Glasarbeiten meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Linsen schleifen. Ich glaube, dass ich das gut kann.«
»Glas wofür?«
»Brillen. Vergrößerungsgläser. Vielleicht sogar Teleskope.«
Rebecca sah ihren Bruder verblüfft an. »Ein Jude, der Glas schleift. Was ist nur mit dir los, Bento? Warum bist du so seltsam? Du hast kein Interesse am wirklichen Leben. Nicht an einer Frau, nicht an einer Gattin und auch nicht
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