Das spröde Licht: Roman (German Edition)
überschütten.
Als ich in die Wohnung zurückkam, saßen alle im Wohnzimmer um Preet herum, der, wie jeden Freitag, gekommen war, um Jacobo zu besuchen. Preet, ein Sikh, war der Fahrer des Unglückstaxis, in dem Jacobo gesessen hatte, und seit damals hatte er keinen einzigen Freitag ausgelassen, um nach Jacobo zu sehen. Er hatte einen grauen, sehr langen Bart, sein Turban war indigoblau, ebenso sein Hemd und seine Hose, seine Augen waren groß und glänzten und strahlten eine ungewöhnliche Sanftmut und Güte aus. Wenn Preet kam, musste man sich genau eine Stunde lang mit ihm zu einer Besuchsrunde zusammensetzen, ihm Tee anbieten und die meiste Zeit schweigen. Ab und zu fragte er: »And how are you doing, folks?«, in diesem den Indern eigenen Englisch-Singsang, den ich so mochte und kaum verstand, und wir antworteten, dass es uns gutginge, vielen Dank, und Ihnen?, und Preet sagte auch, dass es ihm gutginge, vielen Dank, und dann folgte eine lange, lange, sehr lange Pause, bis er von neuem fragte: »And how are you doing, folks?«
Zwei Tage nach dem Unfall war er in Jacobos Krankenhauszimmer erschienen und hatte gesagt:
»Hello, I am Preet.«
»Sorry. Who?«, fragte Sara.
»I was the taxi driver, ma’am. I am very sorry. Truly, truly sorry.«
Bei Autounfällen geschehen merkwürdige Dinge. Als der Pick-up des betrunkenen Junkies mit Preets Wagen zusammenstieß, wurde aus dem Taxi im Bruchteil einer Sekunde ein Haufen Schrott. Es war ein Wunder, dass Jacobo noch lebte, aber noch erstaunlicher war, dass Preet überhaupt nichts passiert war, nicht einmal einen Kratzer hatte er abbekommen. Ich kann mir denken, dass nicht einmal sein schöner Turban verrutschte, und vielleicht hatte er genau deshalb Schuldgefühle, aber wer wollte das wissen, denn mit ihm Wörter auszutauschen war für mich so schwer, wie ihm lächeln und liebenswürdige Blicke leichtfielen.
»Preet bedeutet ›Liebe‹ auf Punjabi«, sagte er als Nächstes.
»Aha«, sagte Sara. »Außerdem klingt es wie ›pretty‹.«
Der Taxifahrer lächelte geschmeichelt.
»Exactly, ma’am, exactly«, sagte er mit dem treuherzigsten Augenaufschlag der Welt. Wir setzten uns, und damit begann die erste der langen Schweigepausen, an die wir uns auch im Laufe der Jahre nicht gewöhnen konnten. Während dieser Pausen sahen wir, wie er angestrengt darüber nachdachte, was er als Nächstes sagen könnte.
»Wir Sikhs sind Monotheisten«, ließ er dann verlauten, und nicht einmal Sara fiel dazu ein passender Kommentar ein, um die Unterhaltung weiterzubringen.
»Was Sie nicht sagen«, sagte sie.
Jacobo gegenüber ging Preet viel mehr aus sich heraus. Er hatte ihn ins Herz geschlossen – was angesichts von Jacobos Wesen nicht schwer war –, und manchmal tätschelte er ihm den Rücken und nannte ihn einen »son of a gun«, einen Pfundskerl, und Ähnliches, für Preet das Höchste der Gefühle in puncto Zwanglosigkeit und Kameradschaft. Das war allerdings, wenn er mit Jacobo allein im Zimmer war. Sobald Sara oder ich dazukamen, kehrte er sofort zu seiner außerordentlichen Liebenswürdigkeit und Höflichkeit zurück.
»Hello, Mister David. Hello, Missis Sara«, sang er fast in seinem schönen Punjabi-Tonfall.
Als ich von Coney Island zurück in die Wohnung kam, fand ich Debrah, James, Venus, Arturo, Sara und Preet im Wohnzimmer. Der Taxifahrer hatte natürlich keine Ahnung, was in Portland geschehen sollte. Sara hatte ihm gesagt, dass Jacobo und Pablo zu Freunden nach Miami gefahren seien. Außer Preet sahen alle etwas blass und übermüdet aus. James, eigentlich ein redseliger Typ, saß schweigend da, ebenso Debrah, die sonst auch nicht gerade wortkarg ist. Debrah und James waren unsere besten Freunde, seit wir in New York wohnten. Sie hatten keine Kinder und sahen unsere fast als ihre eigenen an.
Ich begrüßte Preet und setzte mich und schaute ihn an, wie alle anderen auch. In seinem Sessel sah er wie ein Guru aus, wie ein Gott: der indigoblaue Turban, der Bart, der ihm bis zu den Beinen reichte, und die Augen, die so stark glänzten, als sei er in Ekstase.
»Punjab ist das Land der fünf Flüsse«, sagte er nach einer Weile.
Sara machte mir Zeichen, dass sie mit mir reden müsse. Wir entschuldigten uns und gingen in die Küche, und sie sagte, die Jungen hätten gerade angerufen, der Arzt könne nicht um sieben Uhr abends ins Hotel kommen, sondern erst um elf. Alles hatte sich um mindestens vier Stunden verschoben.
Wir standen schweigend da. Ich nahm
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