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Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Das spröde Licht: Roman (German Edition)

Titel: Das spröde Licht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás González
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wir alle da und schauten ihn an.
    »Der Sikhismus ist die jüngste Religion der Welt«, sagte er nach einer Weile. Und dieses Mal war es Venus, die einen Kommentar abgab:
    »That’s incredible.«
    Eben kam Ángela herein und fragte, ob ich noch einen Wunsch hätte oder ob sie und ihr Mann gehen könnten. »Das Essen steht in der Mikrowelle«, sagte sie. »Gehen Sie mir bloß nicht schlafen, ohne etwas zu essen, Don David.«
    Sie und ihr Mann wohnen nicht hier, sondern auf einem kleinen Stück Land an der Straße nach Cachipay, der nächsten Ortschaft. Jeden Nachmittag steigen sie am Hauptplatz von La Mesa in einen dieser Kleinbusse, die auf der asphaltierten, aber mit Schlaglöchern übersäten Straße die wunderschönen baumreichen Kurven nach Cachipay hinauffahren. Ich habe sie dort schon manchen Sonntag besucht, und dann fahre ich nicht mit dem Auto, sondern nehme den Kleinbus, denn ich erlebe gern, wie es darin zugeht: Jeder redet mit jedem, als seien sie auf einem gemeinsamen Ausflug und nicht in einem öffentlichen Verkehrsmittel. Das einzige Problem ist, dass man so eingeengt sitzt und ich kaum Platz für meine Beine habe. Auch ihr Anwesen gefällt mir. Sie haben etwas mehr als einen Hektar Kaffeesträucher und dazwischen als Schattenbäume Guamos und eine sehr elegante Akazienart, die hier pisquín genannt wird. Ihr Haus ist aus Lehm und Bambus gebaut, es hat weiß gekalkte Wände und einen dunkelroten Sockel, ein dunkelrotes Wellblechdach und dunkelrote Fenster und Türen. Wenn ich sie besuche, setze ich mich unter das Vordach und trinke Kaffee, ich schaue mir die Bäume an, esse zu Mittag, halte eine kleine Siesta in dem Bett, das sie mir anbieten, und fahre wieder nach Hause. Ich glaube nicht, dass ich die Fahrt noch oft mit dem Bus machen werde, denn inzwischen sehe ich so schlecht, dass ich mir solche Ausflüge allein nicht mehr zutraue.
    »Morgen ordne ich Ihnen die Papiere«, sagte Ángela.
    Die Blätter, die ich vollgeschrieben habe, lege ich, mit Seitenzahlen versehen, in einen alten Seifenkarton neben meinem Schreibtisch. Weil ich mit so großen Buchstaben schreiben muss, kommen sehr viele Blätter zusammen, und immer wenn der Karton voll ist, ordnet Ángela sie in numerischer Reihenfolge und stapelt sie in 100er-Häufchen nebeneinander auf einem sehr langen Tisch, den ich früher für meine Drucke benutzt habe. Er sieht hübsch aus, der Tisch, wie er da mehr und mehr mit Stapeln von Blättern zugedeckt wird, die mit einer brombeerfarbenen Tinte, von mir selbst hergestellt, beschrieben sind. Es gibt schon mehr als dreißig Stapel, in denen ich über Saras und meine jungen Jahre geschrieben habe, ich meine, unsere ersten fünf Jahre zusammen, die so glücklich waren und auch so konfliktreich im Ansturm der Hormone, die damals noch durch unsere Adern rannen. Und jetzt beginnen sich die Manuskriptstapel über Jacobo aneinanderzureihen. Ich verwende ein besonderes Papier, dicker als das übliche, fast so dick wie Büttenpapier, denn ich spüre und höre gern das Schleifen und Kratzen der Feder auf diesem Papier, wenn ich mit dem prächtigen Montblanc-Füller darüberfahre, den Sara mir einmal zu Weihnachten geschenkt hat.
    Aber manchmal wünschte ich, ich könnte wieder malen. Nicht diese traurigen Bildchen, die ich aus dem Augenwinkel heraus machen musste, bis ich beschloss, mit der Malerei aufzuhören und mit dem Schreiben zu beginnen, sondern große Gemälde, wie früher, auf denen die ganze Welt Platz hat.

elf
    Wir ließen uns aus einem Restaurant ein Brathähnchen und Nudelsuppe kommen. Obwohl ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, schaffte ich nicht mehr als ein paar Löffel Suppe und eine halbe Hähnchenkeule, auf der ich wie auf einem Stück Gummi herumkaute. Am Tisch ging es um Preets Besuch, der wie immer umständlich gewesen war und der uns vielleicht gerade deshalb und auch, weil wir den Mann mochten, gefreut hatte. Venus sagte, der orange Turban würde ihm besser stehen als der indigoblaue, den er fast immer trug.
    »Hello, I am Preet«, sagte Arturo, fast singend. »We Sikhs do not recognize the caste system.«
    Gestern Nachmittag sind hier Fotos gemacht worden, von mir und meinem Haus. Keine Ahnung, ob das für ein Kunstmagazin war oder für eine Zeitschrift über Architektur oder Innendekoration, denn die Besucher, ein junger Mann und eine junge Frau, beide reizend, durchforsteten das ganze Haus und fotografierten einfach alles, was sich bewegte und nicht bewegte. Mich

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