Das spröde Licht: Roman (German Edition)
fotografierten sie am Schreibtisch mit meinem Montblanc und meiner Lupe. Die Lupe ist wirklich fotogen, wie sie da mit ihrem doppelt geknickten Gelenkarm an der Schreibtischplatte festgeklemmt ist: groß, quadratisch, schwarz eingefasst. Ich musste auch neben der Kletterpflanze posieren, die im Laufe der Zeit eine ganze Wand in der Galerie eingenommen hat. Ich glaube, ich werde im Alter den Figuren des Bildhauers Alberto Giacometti immer ähnlicher, denn jeden Tag sehe ich etwas dünner aus, zu dünn für meine Größe, wie Ángela sagt, und meine Gestalt vergeistigt oder verdampft immer mehr. Das heißt, sie entfernt sich von den weltlichen Dingen und dringt immer mehr in den Tod ein, den es nicht gibt, und in die Welt ohne Ende, in der wir uns in Wirklichkeit befinden. Wenn ich noch könnte, würde ich ein großes Selbstporträt malen, auf dem ich als Schatten zu sehen bin, der sich auf eine Kletterpflanze gelegt hat, eine sehr feste, ewige Kletterpflanze, wie aus Metall oder Stein.
Es gibt noch einen anderen Giacometti, Diego, der Bruder von Alberto, der herrliche Möbel aus Bronze gemacht hat. Ich wollte eine Kopie eines seiner Tische haben, bei dem eine Glasplatte auf einem dreifüßigen kleinen Baum ruht, mit einer Eule auf einem der Äste. Dazu fuhr ich nach Medellín, wo mein Vetter Ángel lebte, ein Alkoholiker, der mit Bronze umzugehen verstand wie kein anderer. Er brauchte zwei lange Jahre für den Tisch, denn er musste wegen fast tödlicher Alkoholvergiftungen mehrmals ins Krankenhaus, aber am Ende wurde der Tisch fertig und war perfekt. Er steht jetzt im Wohnzimmer, zusammen mit einem Ledersessel, den wir aus New York mitgebracht hatten. Als Ángel drei Jahre später starb, fuhr ich zum Begräbnis nach Medellín. Ich konnte ihn noch vor der Beerdigung sehen, abgemagert, mit schön gekämmtem Bart, Krawatte, und offensichtlich froh über das Ende des schlimmen Leidens, das Alkoholiker ertragen müssen, in einem schlichten Sarg, umgeben von Blumengebinden. Ich malte ein kleines Bild von ihm, wie er da ophelienhaft auf einem Meer von Blumen schwebte, fast ein naives Bild, das wegen der überrealistischen Darstellung der Blumen niemand mir zuordnen würde.
Die beiden jungen Leute blieben zum Abendessen und gingen gegen neun Uhr. Es gab eine Zeit, in der mich alles, was mit Fotos, Artikeln und der Fragerei zu meiner Arbeit zu tun hatte, wahnsinnig störte. Besonders während Jacobos langer Leidenszeit musste ich mich richtig zwingen, um für diesen Teil meiner Arbeit da zu sein, und wenn Sara nicht gewesen wäre, hätte ich mich einfach eingeigelt und Klingel und Telefon abgestellt, egal, was passierte. Aber in jenen Jahren war die Öffentlichkeitsarbeit noch wichtig für den Verkauf meiner Bilder, und diese Einkünfte waren für unser Leben mit Jacobo unverzichtbar. Später, als ich bekannter geworden war und meine Bilder sich von selbst verkauften, gab ich nur noch die Interviews, an denen mir etwas lag und bei denen ich Dinge sagen konnte, die zu sagen mir wichtig war. Jetzt, im Alter, freue ich mich einfach über den Besuch von jungen Leuten, die sich für meine Arbeit interessieren, mir Fragen stellen und ein Auge haben für Saras Garten und die anderen Dinge um mich herum.
Gegen drei Uhr nachmittags schliefen Sara und ich ein paar Minuten, und als wir aufwachten, liebten wir uns, seitlich einander gegenüberliegend, mit einer solchen Intensität, dass wir wie noch nie eins wurden in unserer Lust und vor allem in unserem Leid. Ich weiß nicht, wie oft wir uns in so vielen gemeinsamen Jahren geliebt haben, Sara und ich, Tausende von Malen, denke ich, auf tausenderlei Art und in tausend verschiedenen Stimmungen, in glücklichen Zeiten und in so entsetzlichen Momenten, wie wir sie gerade erlebten, und jedes Mal war es anders, jedes Mal war es, als sei es das erste Mal. Wir schliefen noch ein wenig weiter, eng umschlungen. Als ich aufwachte, vielleicht eine halbe Stunde später, hörte ich vom Friedhof her die schrillen Schreie der Blue Jays und, von weiter weg, auf der Straße, ein hässliches, heiseres Schimpfwort, fast geröchelt: »Hey, you, motherfucker!«
Einmal habe ich Jacobo nach seinem Liebesleben mit Venus gefragt, und er sagte, dass er beim ersten Mal, bei der ersten Ejakulation, so gewaltige Schmerzen in den Beinen und im Kopf bekommen habe, dass er fast bewusstlos geworden wäre. Mit der Zeit seien diese physischen Schmerzen aber immer schwächer geworden, sagte er, und schließlich ganz
Weitere Kostenlose Bücher