Das stählerne Geheimnis
Rohr gewirkt haben.
Wie gekräuselt sah der Stahl aus. Wie man wohl einen Kleiderstoff fältelt, hatten die während des zweiten Seebebens von allen Seiten mit elementarer Wucht andrängenden Gesteinsmassen die schwere Rohrwand in sich zusammengeschoben. Aber – Roddington empfand es als einen Glücksfall – die kreisrunde Form war dabei bewahrt geblieben.
»Alles in Ordnung, Roddington?«
Verhaltene Unruhe klang aus der Stimme des Doktors.
»Alles in Ordnung, Doktor Wegener. Noch freier Raum neben der Sonde. Welche Tiefe?«
»Eintausendachthundert Meter, Roddington.«
Tiefer und immer tiefer sank die Schale. »Zweitausend Meier jetzt!« kam Dr. Wegeners Stimme von oben.
»Fahrt verringern, Doktor, das Rohr wird enger!«
Der Schalthebel in der Hand des Doktors bewegte sich. Langsamer wurde der Lauf des Seiles.
»Zweitausendeinhundert Meter jetzt, Roddington … zweitausendzweihundert Meter …«
»Fahrt verringern, Doktor!«
Feine Schweißperlen standen auf Dr. Wegeners Stirn, während er das Kommando ausführte. Nur noch Zentimeter um Zentimeter schlich das Seil über die Scheibe.
»Vorsichtig, Roddington«, schrie Dr. Wegener in das Mikrofon. »Soll ich stoppen?«
Wie in einer Vision sah der Doktor in diesen gefährlichen Sekunden die Sonde mit ihrer lebendigen Fracht durch das von ungeheurem Druck zusammengeschnürte Rohr kriechen. Glaubte jeden Augenblick das Scharren und Schleifen ihres Federwerks an den Schachtwänden zu vernehmen. Furcht überkam ihn, daß Roddington ein Opfer seiner Kühnheit werden könnte, erdrückt und erschlagen von den übermächtigen Gewalten der Tiefe. Seine Hand zuckte. Er wollte die Maschine umsteuern, die Sonde wieder nach oben holen, als Worte aus dem Telefon drangen.
»Die Einschnürung ist passiert, Doktor Wegener. Das Rohr wird wieder weiter.«
Dr. Wegener warf einen Blick auf den Tiefenzeiger.
»Zweitausenddreihundert Meter jetzt, Roddington!«
»Schnellere Fahrt, Doktor!« klang’s aus dem Telefon.
Das Seil beschleunigte seinen Lauf.
»Zweitausendvierhundert Meter, Roddington. Alles klar bei Ihnen?«
»Alles klar hier. Rohr hat normale Weite.«
»Zweitausendfünfhundert Meter jetzt!«
Während Dr. Wegener es sagte, glitt der Steuerhebel aus seiner Hand. Automatisch setzte die Fördermaschine sich still. Die Sonde hatte Station VI auf dem Schachtgrund erreicht.
Mit schnellem Griff öffnete Roddington die federnde Wand der Sonde. Auf massives Metall trat sein Fuß, als er sie verließ. Er stand auf dem schweren Stahlpropf, mit dem man das untere Ende des ersten Rohres verschlossen hatte, bevor man mit der Absenkung des Schachtes begann. Glänzend und glatt war hier die innere Wand, so wie man sie in der großen Halle in Trenton gegossen hatte. Nichts verriet den gewaltigen Druck, der von außen her darauf lasten mochte.
»Alles in Ordnung, Roddington?«
Erregt, unruhevoll kamen die Worte aus dem Telefon.
»Alles in Ordnung, Doktor Wegener. Ich lege das Telefon jetzt ab und erwarte Sie hier. Versuchen Sie, möglichst viel von der Werkzeuggarnitur A I mitzubringen. In dreißig Sekunden können Sie die Sonde hochgehen lassen. Glückauf, Doktor Wegener!«
Vergeblich rief und schrie der Doktor in sein Mikrofon. Von Roddington kam keine Antwort mehr. Er hatte das mit der Sonde fest verbundene Telefon inzwischen abgelegt und wartete darauf, daß Dr. Wegener seine Anordnungen ausführte.
»Es heißt Gott versuchen, Herr«, sagte Larking, als Dr. Wegener seinen Leib in den engen Raum der Sonde zwängte.
»Denken Sie, was Sie wollen, Mr. Larking. Aber führen Sie auf das Wort genau aus, was ich Ihnen sagte. Alles Gerät von Satz A I an das Oberteil. Alles mit Draht fest verknoten. An keiner Stelle darf es mehr als vierzig Zentimeter spreizen.«
Die Sonde tauchte in den Schachtgrund ein. Am Seile über ihr arbeiteten Larking und seine Leute mit Flaschenzügen und Zangen. Eine Viertelstunde verging darüber.
»Sind Sie fertig, Larking?«
Wie aus einem Schallrohr tönte die Stimme Dr. Wegeners aus dem Schachtmund.
»Alles in Ordnung, Doktor!«
»Gut, Mr. Larking. Halten Sie sich genau an den Plan für die Seilfahrt. Von tausend bis zweitausendfünfhundert Meter halbe Fahrt. Los, in Gottes Namen!«
Endlos erschien Roddington die Zeit, die verfloß, seitdem er die Sonde verlassen hatte, seitdem er hier einsam in einem stählernen Kerker stand, durch Meilen von Licht und Sonne getrennt, in einer Meerestiefe, die vor ihm noch niemand erreicht
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