Das stählerne Geheimnis
und immer wieder überlas Staatssekretär Harding den Funkspruch. Was lag nicht alles in den wenigen Worten!
»Bis Station V alles klar.« Das bedeutete, daß fünf Förderanlagen liefen und daß die Luftschleusen bei Station II und IV arbeiteten. Es bedeutete, daß die Bewetterungsanlagen in Betrieb waren, die den unteren durch die Luftschleusen von der Außenwelt getrennten Teilen des Schachtes frische Luft zuführten. Es bedeutete schließlich, daß Roddington und seine Leute jetzt in der ungeheuren Tiefe von 12 500 Meter am Werk waren, um noch die letzte Förderanlage einzuhängen und mit ihr bis zu dem so heiß erstrebten Ziele, dem Seeboden, vorzudringen.
Harding ließ das inhaltsschwere Blatt sinken und stützte den Kopf in die Rechte. Über Länder und Meere flogen die Gedanken des Staatssekretärs zu Roddington und seinen Getreuen. Würden sie auch noch die letzte Strecke bewältigen? Würden sie die dunklen Gewalten der Tiefe überwinden? Im Geiste sah Harding das Stahlrohr zitternd im Abgrund des Weltmeeres stehen, glaubte seine Wände unter dem ungeheuren Wasserdruck ächzen und knistern zu hören, erblickte Männer mit eisernem Herzen, die tiefer und immer tiefer in den Schacht vordrangen, der Gefahr und des lauernden Todes nicht achteten.
Eine lange Reise war es von der Station Null am Schachtmund über der See bis zur Station V. Die Durchschleusung bei Station II und IV nahm jedesmal geraume Zeit in Anspruch, denn allzu schnell durfte man die Einfahrenden dem Druckunterschied nicht aussetzen. Erst anderthalb Stunden, nachdem Roddington und Dr. Wegener vom Licht des sonnigen Tropentages Abschied genommen hatten, erreichten sie die Station V. In der oberen Hälfte der mächtigen Stahlkugel, in der die Station sich befand, traten sie aus der Förderschale.
Man war weitergekommen in den wenigen Tagen, seitdem die beiden die erste Fahrt bis zur Station I unternahmen. Elektrisches Licht erhellte den Raum, in dem sie jetzt standen. Zischend entwich aus einem Rohr an der Wand die Frischluft, die von den Ventilatoren über Tag ununterbrochen in den Schacht hineingeworfen wurde. In rastloser Arbeit hatten aus-gesuchte Leute das alles in einer unwahrscheinlich kurzen Zeit geschafft. Auf die Stunde genau waren bisher die Fristen eingehalten worden, die Roddington in sein Arbeitsprogramm eingesetzt hatte.
Über eine eiserne Leiter stieg er, von Dr. Wegener gefolgt, in den unteren Teil der Kugel. Auch hier elektrisches Licht und kühle Frischluft. Auch hier bereits eine Telefonanlage, die sicheren Verkehr mit allen anderen Stationen ermöglichte. Larking war hier mit vier Leuten am Werk. Seit vier Stunden arbeiteten die fünf Männer nach einer Vorschrift, die jeden Griff und jeden Handschlag vorsah.
»Tag, Mr. Larking, elf Uhr dreißig jetzt«, begrüßte der Doktor den Bergingenieur.
»All right, Sir. Elf Uhr dreißig.«
Dr. Wegener hatte ein Blatt in der Hand, auf dem neben anderem Text rote Zahlen standen. Er fuhr mit dem Finger darüber hin. »Elf Uhr dreißig soll Fördermaschine VI betriebsbereit sein, Mr. Larking.«
Der Bergingenieur machte eine unmutige Bewegung.
»Die Maschine ist bereit, Doktor, der Schacht ist nicht klar.«
Roddington fühlte seinen Herzschlag stocken. Der Schacht nicht klar? Nichts anderes konnte es bedeuten, als daß die Gewalten der Tiefe Sieger über sein Werk waren, daß das mächtige Rohr dem vereinten Druck von Fels und Wasser gewichen war … Er lehnte sich an die stählerne Wandung, preßte die heiße Stirn gegen das Metall und empfand wohltuend die eisige Kälte, die davon ausging. Wie im Traum hörte er die Frage, die Dr. Wegener an Larking richtete.
»Wie tief sind Sie mit der Schale hinuntergekommen?«
Wie eine Ewigkeit erschien ihm die Sekunde, bis Larking antwortete.
»Tausend Meter, Mr. Wegener. Da ließ der Seilzug nach, die Schale klemmte, saß fest im Schacht.«
Tausend Meter! Blitzartig erfaßte Roddington die Zahl. Fieberhaft arbeitete sein Gehirn. Tausend Meter … Noch fünfhundert Meter tief in das Gestein hinein war der Schacht befahrbar … Bis dahin vordringen … dort mit dem Sauerstoffbrenner ein Loch in die Rohrwand schneiden … von dieser Stelle aus einen Stollen in das Gestein treiben … weiter, immer weiter nach unten, bis er das fand, was in der Tiefe sein mußte … um dessentwillen er diese ganze Riesenarbeit unternommen hatte.
Eine neue Frage des Doktors drang an sein Ohr.
»Ist das Unterseil über die ganze Schachtlänge
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