Das Steinbett
möglich. Er war im Laufe des Herbstes immer weicher geworden, war immer öfter auf den Golfplatz verschwunden und hatte im Labor nicht mehr den nötigen Elan gezeigt.
Das Argument, daß sie einen schnellen Erfolg brauchten, hatte er abgetan, darüber gelacht. Ein klarer Fall von Doppelmoral, fand Mortensen, denn immerhin war Sven-Erik anfangs doch mit allem einverstanden gewesen, oder etwa nicht? Damals hatte er nicht protestiert, im Gegenteil, Mortensen erinnerte sich noch an seinen enthusiastischen Einführungsvortrag auf der Aprilkonferenz vor zwei Jahren, als das ganze Projekt vorgestellt worden war.
Im nachhinein konnte man natürlich wunderbar über Fragen der Ethik diskutieren. So machen sie es immer, kommen an und reißen das Maul auf, sobald Probleme auftauchen. Läuft es gut, nehmen sie die ganze Ehre für sich in Anspruch. Bei Pharmacia war es das gleiche gewesen.
Sein Unbehagen saß ihm wie ein großer Kloß im Bauch. Er wurde das Gefühl nicht los, daß es den Spaniern in Wirklichkeit ganz recht war, daß Sven-Erik von der Bildfläche verschwunden war. Wenn seine Familie bei der Gelegenheit mit draufging, bitte.
Mortensen betrachtete seine Hand, das Pulsieren unter der Haut in der Daumenbeuge. Er ballte sie so fest zu einer Faust, daß die Knöchel weiß wurden. Die Nachbarn waren offenkundig ins Haus gegangen, denn nun war es vollkommen still geworden.
Sollte er sich bei seiner Mutter melden? Sie hatte im Laufe des Tages bereits zweimal angerufen, weil sie sich Sorgen machte, und gefragt, ob er auch zurechtkomme. Mortensen lächelte. Sie hat sich nicht verändert, dachte er. Morgen würde sie bestimmt mit Brötchen und frischgepreßtem Karottensaft zum Frühstück erscheinen.
Er stand auf. Sein Körper war steif. Wie lange hatte er so an die Wand gelehnt dagesessen? Bestimmt zwei Stunden. Normalerweise konnte er sich auf diese Weise am besten entspannen, in den Stunden, die er sich in seinem Garten gönnte, aber jetzt konnte er keine Freude dabei empfinden, den Blick über die Blumenpracht schweifen zu lassen.
Seit Cederén verschwunden war, stand das Telefon nicht mehr still. Abgesehen von den Spaniern schienen alle bei MedForsk mit ihm darüber sprechen zu wollen, was vorgefallen war. Alle waren niedergeschlagen und erschüttert, aber eine gewisse Sorge um die Zukunft des Unternehmens, und damit auch um die eigene, schwang bei jedem mit.
Mortensen hatte sie alle beruhigt.
Wenn er bloß wüßte, wo Sven-Erik steckte. Er war sich so sicher gewesen, daß er anrufen würde, und hatte deshalb das schnurlose Telefon mit in den Garten genommen, doch der einzige Anrufer war ein Reporter des Abendblatts gewesen. Ein vorwitziger Typ, den Mortensen schnell, aber korrekt und höflich abgewimmelt hatte. Er wollte nicht in die Schußlinie geraten, weil er einen Pressefritzen abkanzelte. Sie hatten auch so schon genug schlechte Presse.
Wo konnte Cederén sein, wenn nicht bei Gabriella? Mortensen hatte lange darüber nachgedacht, aber ihm war nichts eingefallen. Eine Zeitlang hatte er geglaubt, Cederén wäre zu dem Sommerhaus auf die Schäreninsel Möja hinausgefahren. Sven-Erik kannte das Haus und wußte, wo der Schlüssel versteckt lag. Er hatte sicher zehnmal dort angerufen, ohne daß jemand an den Apparat gegangen wäre. Lindell hatte er nichts davon erzählt. Aber warum sollte Cederén dort hocken? Viel wahrscheinlicher war es, daß er sich ins Ausland abgesetzt hatte. Seinen Paß – hatte ihn die Polizei eigentlich gefunden? Lindell hatte nichts davon erwähnt.
Wenn Sven-Erik lebte, würde er früher oder später von sich hören lassen. Er würde reden wollen. Ein paar Tage mochte er es schaffen, sich zu verbergen und mit niemandem Kontakt aufzunehmen, aber Mortensen kannte ihn viel zu gut, als daß er nicht wüßte, daß Sven-Erik das nicht lange durchhielt.
Und wenn er tot war? Mortensen konnte das nicht glauben. Sie waren befreundet, seit sie zwanzig waren. Beide hatten Chemie studiert, kürzere Zeit auch zusammen gewohnt, waren gemeinsam durch Europa getrampt und hatten sich in dieselbe Frau verliebt. Natürlich hatte Sven-Erik das große Los gezogen, und sie hatten sich verkracht, bei Pharmacia jedoch wieder versöhnt. Tatsächlich war Sven-Erik Cederén, abgesehen von seiner Mutter, der Mensch, der ihm am nächsten stand, der seine Stärken, aber auch seine Schwächen kannte, ohne sie jemals ausgenutzt zu haben, der ihn niemals wegen seiner Unfähigkeit aufgezogen hatte, eine Frau länger
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