Das Steinbett
nichts ein, was sie interessierte. Warum habe ich kein Privatleben, dachte Lindell. Ich bin mit meinem Job verheiratet, ich schleppe die Ermittlungen mit nach Hause, alles andere kommt mir unwichtig vor. Was machen andere Menschen abends? All jene, die allein sind?
Sie begriff, daß man so verbittert werden konnte. Auch wenn sie ihre Arbeit liebte, würde irgendwann der Tag kommen, an dem ihr das Ganze weniger wichtig vorkäme. Die Arbeit, der ganze Papierkram, die Rennerei würden dann kaum mehr ins Gewicht fallen, wenn sie gegen ihr unterdrücktes Bedürfnis nach Liebe und Nähe aufgewogen wurden. Sie fürchtete diesen Tag, an dem sich die Gewichte verschieben, an dem ihre Motivation einen Nullpunkt erreichen konnte. Wenn sie dann so weitermachte wie bisher, würde es nur noch eine große Leere geben.
Sie entwickelte keinerlei Ehrgeiz, etwas dagegen zu unternehmen, das war das Schlimmste. Sie begeisterte sich weder für Schlittschuhlaufen noch für das Beobachten von Vögeln, für Lesen oder Theater, Bowling, Hundedressur oder Aquarellmalerei, all das, was andere Menschen leichten Herzens und gerne machten. Sie wußte nur, daß sie eigentlich auch noch etwas anderes tun sollte, als tagsüber zu arbeiten und abends Rotwein zu trinken.
Wenn sie nicht rauskam, würde sie außer Gewaltverbrechern und Polizisten auch niemanden treffen. Sie dachte an den letzten Abend mit ihren Freundinnen zurück. Zuviel Wein und ein zu schlechtes Urteilsvermögen. Sie dachte an den Typen, den sie abgeschleppt hatte, oder hatte er eher sie abgeschleppt? Tatsache war, daß sie sich an die Heimfahrt nicht besonders gut erinnern konnte.
Sie hatten miteinander geschlafen, daran konnte sie sich erinnern. Es war zwar nicht umwerfend schön gewesen, aber so übel war er gar nicht im Bett. Als sie gegen zehn wach wurde, war er schon gegangen. In ihrem Bett hatte es nach einem Mann und nach Liebe gerochen. Sie war liegen geblieben und hatte an Edvard gedacht.
Er hätte wenigstens eine Nachricht hinterlassen können – Bengt-Åke, so hieß er –, aber er hatte sich befriedigt und anschließend einfach aus dem Staub gemacht. Beatrice kannte ihn und behauptete, er sei verheiratet.
Sie quälte sich von der Couch hoch. Ihr Körper wollte Nähe, aber in Zukunft keinen Bengt-Åke mehr, das beschloß sie am Abend des 16. Juni.
Sie zog den Rock und das T-Shirt aus, ging ins Badezimmer und lächelte ihrem Spiegelbild ironisch zu. »Keinen BengtÅke mehr«, sagte sie laut zu sich selbst, setzte sich auf den Toilettendeckel und schloß die Augen, um nicht in Tränen auszubrechen. Warum diese düstere Stimmung, diese Empfindlichkeit, wo sie doch Edvard bald wiedersehen würde? Bekam sie Angst? Jene Angst, die sie auch bei ihm wahrgenommen und zwei Jahre lang so hartnäckig zu vertreiben versucht hatte? Sie war offensiv gewesen und hatte die Initiative ergriffen, während Edvard träge hinterhertrottete. Ihr Vorpreschen hatte ihm einerseits gefallen, aber dennoch hatte er es passiv, bekämpft, weil er hin und her gerissen war zwischen der Vergangenheit und der Zukunft.
Ann Lindell schob die Gedanken beiseite und beschloß, ihre Melancholie hinter sich zu lassen. Mechanisch putzte sie sich die Zähne und bereitete sich mental darauf vor, einzuschlafen. Es war eine bewährte Methode, entwickelt aus purem Selbsterhaltungstrieb.
13
In den folgenden Tagen passierte nichts, was Licht in das Drama hätte bringen können. Lindell und die anderen spürten, daß sie in eine Sackgasse geraten waren. Fredrikssons Umfrage unter den Gemeindepfarrern hatte nichts ergeben. Die meisten Geistlichen waren nur sehr widerwillig bereit gewesen, bei der Suche nach Sven-Erik Cederéns Geliebter mitzuarbeiten, von der man aus Mangel an Alternativen annahm, daß sie nordöstlich von Uppsala wohnte.
Haver hatte mehrmals in dem Geschäft in Vallby angerufen und mit der Verkäuferin gesprochen, aber sie hatte nichts Neues zu berichten gehabt. Die Frau war nicht wieder aufgetaucht.
Lindell klammerte sich an einen letzten Strohhalm, Cederéns Beerdigung. Er wurde genau eine Woche, nachdem sie ihn im Wald gefunden hatten, auf dem Friedhof von Uppsala-Näs beigesetzt. Vielleicht würde die Frau zur Beerdigung erscheinen, die Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht. Nur eine Handvoll Trauergäste hatte sich in der Kirche versammelt. Außer Cederéns Eltern, die vor allem verängstigt aussahen, waren zwei Arbeitskollegen von MedForsk gekommen, Mortensen und einer aus dem Labor.
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