Das Steinbett
vor der Villa in Uppsala-Näs gefunden. Geschrieben hatte den Brief ein gewisser Julio Piñeda. Es war eine Anklage, soviel hatte man beim Puzzle der Brieffragmente herausgefunden. Eduardo Cruz, der Übersetzer, wurde wieder hinzugezogen, aber es fiel ihm schwer, einen Zusammenhang herzustellen. Julio Piñeda wollte Geld, soviel stand fest.
Aus welchem Land der Brief stammte, war unklar. Die meisten tippten auf Spanien, und Lindell hatte sich bei Mortensen erkundigt, ob der Name Piñeda ihm etwas sage, aber der Geschäftsführer von MedForsk hatte jede Kenntnis des Namens bestritten.
Vielleicht handelte es sich um einen Angestellten von MedForsks Tochterunternehmen in Malaga, der entlassen worden war oder sich aus einem anderen Grund von dem Unternehmen ungerecht behandelt fühlte und sich nun an eine Person, in Schweden wandte, die er einmal kennengelernt und zu der er Zutrauen gefaßt hatte.
Mortensen versprach, sich in Spanien zu erkundigen, ob dort ein Julio Piñeda auf der Gehaltsliste stand oder gestanden hatte.
Der Übersetzer glaubte allerdings, daß der Brief aus der Dominikanischen Republik kam. Die Qualität des Papiers und vor allem etwas im Ton des Schreibens deutete auf die Karibik hin.
Lindell hatte die Worte in dem Brief auswendig gelernt. Er war in einem einfachen, fast naiven Stil verfaßt worden.
»Viele haben Not gelitten. Wir empfinden alle große Trauer«, hatte der Dolmetscher übersetzt, »und nun wenden wir uns an Sie mit einer Bitte um …« Der Rest des Satzes fehlte.
Was war das für eine Trauer, die Julio Piñeda empfand? Welche Rolle hatte Cederén dabei gespielt? Lindell ging am Straßenrand. Ein Auto fuhr langsam an ihr vorbei. Der Fahrer sah sie neugierig an, und Lindell starrte mürrisch zurück.
Ein paar Zeilen aus Josefins Tagebuch kamen ihr in den Sinn. »Sven-Erik ist mit Isabella spazierengegangen. Er war zwei Stunden fort. Warum trinkt er so viel? Jack meint, es sei der Streß, und daß er sich ausruhen müsse. Ich glaube ihm nicht. Sven-Erik liebt die Hetze. Er rührt mich nicht mehr an. Er liebt mich nicht mehr.«
Wenn Cederén seine Frau wirklich nicht mehr liebte, warum sollte er sie dann umbringen? Aus finanziellen Gründen? Lindell verwarf den Gedanken sofort wieder. Was war an jenem Morgen vor dem Mord passiert? Er holte die Zeitung ins Haus, plauderte wie gewöhnlich mit dem Nachbarn und fuhr dann anscheinend zur Arbeit. Er nahm den Hund mit. Wo war nur der Hund geblieben? Josefin Cederén hatte währenddessen den alljährlichen Spaziergang zum Grab ihrer Mutter vorbereitet. Niemand sah, wie sie das Haus verließ. Es gab nichts, was darauf hindeutete, daß sie an diesem Morgen mit jemandem gesprochen hatte, weder am Telefon noch unterwegs. Sie tat, was sie sich vorgenommen hatte, nahm ihre Tochter an die Hand und ging los.
Lindell verstand das alles nicht, und sie haßte es, nicht zu verstehen.
14
In der vierten Klasse hatte Ann Lindeli in einer Schulaufführung einen Maulwurf gespielt. Sie trug ein Pelzkostüm, das ungeheuer warm und viel zu groß war, und auf dem Kopf eine Mütze, die man so verändert hatte, daß sie der Schnauze und den blinden Augen eines Maulwurfs ähnelte.
Als sie auf die Bühne trat, stolperte sie, fing sich aber gleich wieder, improvisierte und schuf durch ihr ungeschicktes Benehmen eine zusätzliche Pointe. Beim Schlußapplaus hatte sie sich so tief verbeugt, daß die Mütze herunterfiel, und als sie auf dem Bühnenboden danach tastete und dabei in die Menschenmenge blickte, sah sie ihren Vater im Zuschauerraum, der heftig applaudierte und ebenso rot im Gesicht war wie sie, enthusiastisch, mit offenem Mund und Augen, die nur auf sie gerichtet waren.
Alle anderen in der Schulaula, Lehrer und Eltern, waren zu einer diffusen Masse verschmolzen, die zwar jubelte und klatschte, aber dennoch gesichtslos blieb. Ihr Vater stach als einziger heraus.
Er hatte einen Kasten Limonade mitgebracht, die sich das Ensemble nach dem Ende der Vorstellung hinter den Kulissen teilen durfte. Die Aufregung war groß, alle redeten eifrig durcheinander, die Kostüme wurden abgelegt, und die verschwitzten Zehnjährigen hatten sich noch nicht von dem Riesenerfolg erholt, an dem sie, wie sie nun langsam begriffen, mitgewirkt hatten.
Lindells Vater hatte Limonade verteilt und ihre Darbietung mit Lob überschüttet. Ihre Lehrerin, Fräulein Bergman, hatte vor Freude geweint. Ann Lindeli hatte Pommaclimonade getrunken. Der Geruch von Schweiß und Glück hing
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