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Das Steinbett

Das Steinbett

Titel: Das Steinbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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Beschwerden beim Justizombudsmann, einen Haufen tobender Eltern und mit Sicherheit etwa zehn Leserbriefe in den nächsten Tagen«, antwortete Sammy Nilsson. »Ich denke, wir werden merken, daß es nicht besonders populär ist, sieben Wohnungen einfach auf den Kopf zu stellen.«
    »Aber die öffentliche Meinung müßte doch auf unserer Seite sein«, widersprach Wende.
    Lindell wurde noch müder. Sollten sich ihre Arbeitsmethoden jetzt schon nach der öffentlichen Meinung richten? Sie sagte es laut, aber Berglund widersprach ihr. Wie immer, wenn er sich äußerte, hörte sie aufmerksam zu.
    Nachdem sie sich seine Einwände angehört hatte, mußte sie ihm teilweise recht geben. Wenn die Leute ihren Arbeitsmethoden nicht vertrauen, würde auch das Vertrauen in Polizei und Staatsanwaltschaft überhaupt schnell schwinden.
    »Okay«, sagte sie, »morgen machen wir die Gegenüberstellung und den Stimmtest, dann lassen wir sie laufen.«
    »Ja, denn wir haben nichts in der Hand, womit wir zum Staatsanwalt gehen könnten«, unterbrach Wende.
    »Falls nicht doch noch etwas Neues herauskommt«, fuhr Lindell fort.
     
    Wende ging zuerst, gefolgt von Berglund und Sammy Nilsson. Haver blieb noch sitzen, sah auf die Wanduhr und sagte plötzlich: »Vor exakt fünfundzwanzig Jahren ist mein Vater gestorben.«
    Lindell blickte auf. »Exakt?«
    »Ja, exakt. Achtundzwanzig Minuten nach acht, heute vor fünfundzwanzig Jahren.«
    Lindell wartete auf eine Fortsetzung, aber Haver stemmte sich aus seinem Stuhl.
    »Ich gehe nach Hause«, sagte er.
    »Woran ist er gestorben?«
    »An einem Wespenstich. Absurd, nicht wahr? Wir saßen abends im Garten. Mein Vater hat ein Bier getrunken. In seinem Glas schwamm eine Wespe, geriet in seine Kehle und stach zu. Er reagierte offensichtlich besonders empfindlich darauf, denn sein Hals schwoll sofort zu, und er erstickte innerhalb von zwei Minuten.«
    »Woher weißt du so genau, daß es achtundzwanzig Minuten nach acht war?«
    »Das Fenster stand offen, und als wir um ihn herumstanden, schlug die Uhr im Wohnzimmer halb neun. Da waren gerade zwei Minuten vergangen.«
    »Wie alt warst du da?«
    »Dreizehn. Es ging alles so schnell. Wir saßen auf der Veranda und unterhielten uns, dann war er plötzlich tot. Es war ein lauer Abend. Ich erinnere mich sogar noch, worüber wir gesprochen haben.«
    »Wie traurig«, war das einzige, was Lindell einfiel.
    »Kein Mensch sollte so sterben müssen.«
    »Der Tod ist niemals schön.«
    »Ich denke immer öfter daran«, sagte Haver, der mitten im Raum stand. »Ich habe versucht, mein Gedächtnis zu durchforsten und mich zu erinnern, wie mein Vater war, wie seine Stimme klang, aber es geht nicht. Ich erinnere mich an so verdammt wenig. Manche können ihre gesamte Kindheit herunterbeten, ich erinnere mich an kaum etwas.«
    »Jetzt bist du selber Vater.«
    »Wahrscheinlich muß ich deshalb so oft daran denken.«
    »Was war er von Beruf?«
    »Er war Bauarbeiter«, antwortete Haver und sah Lindell an, der Tränen in die Augen schossen, als sie seinem Blick begegnete.
    »Bauarbeiter«, sagte sie, »das klingt schön. Er hat bestimmt eine Menge feiner Häuser gebaut«
    Haver lächelte. Lindell fand, daß ihre Bemerkung albern war, und bereute bereits, was sie gesagt hatte. So sprach man mit einem Kind: feine Häuser bauen.
    »Ich wußte, daß du das sagen würdest«, meinte Haver, und Lindell ahnte, daß die kindischen Worte ihm gefallen hatten.
    Sie schwiegen einen Moment. Haver sah sie noch einmal an und wollte etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders.
    »Grüße an Zuhause«, sagte Lindell.
     
    Wie so oft, blieb sie noch sitzen, als die übrigen schon gegangen waren. Sie dachte an die sieben jungen Leute, die ohne ausreichende Gründe verhaftet und festgehalten wurden. Der Polizeipräsident hatte verlautbaren lassen, daß er hoffe, »der Terrorangriff auf eine gesellschaftlich so wichtige Institution wie das Fernsehen« werde schon bald aufgeklärt sein. Das weckte zweifellos Erwartungen.
    Die Katerstimmung würde sich morgen einstellen, falls ihre vormittäglichen Versuche, einen der sieben Verhafteten mit dem Überfall in Verbindung zu bringen, nicht doch noch von Erfolg gekrönt würden.
    Eigentlich hatte sie in die Apotheke gehen und einen Schwangerschaftstest kaufen wollen, war aber nicht dazu gekommen oder vielmehr unsicher geworden, ob dies überhaupt notwendig war. Ihre gestrige Gewißheit war neuerlichen Zweifeln gewichen. Warum sollte es ausgerechnet sie

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