Das Steinbett
bei bescheidenen fünfzehn Grad gelegen, aber er glaubte, daß sie jetzt gestiegen sein müßte, auf siebzehn, vielleicht sogar achtzehn Grad.
Die Möwe flog schreiend immer weiter fort und war mittlerweile nur noch ein Fleck über dem Wasser. Sie nahm Kurs auf den Sund und die offene See. Edvard wünschte sich, es ihr nachtun und auch abheben zu können.
Das kleinere Boot ruckelte träge an der Achtervertäuung, als eine schwache Brise über das Wasser strich. Der Wind war nicht kräftig, sondern glich eher einem Pusten. Vielleicht war es ja der Flügelschlag der Möwe, der ihn auf diese Weise erreichte.
Edvard Risberg stellte sich wie ein Turmspringer auf den äußersten Rand des Bootsstegs, streckte die Arme zum klarblauen Himmel hinauf, reckte alle Glieder und spähte auf das Wasser hinaus. Von der anderen Seite der Bucht drang das Geräusch menschlicher Aktivitäten zu ihm herüber. Bestimmt der Besitzer eines Sommerhauses, der seinen Rasen mähte. Er senkte die Arme wieder und holte tief Luft.
Es war für ihn eine große Genugtuung, auf diesem Bootssteg zu stehen. Er war sein Werk, gebaut auf dem Eis Ende Februar, jetzt in den Ufermorast gesunken. In den Eingeweiden des Stegs ruhte Granit, teils glatte Steine, die sie am Ufer gesammelt hatten, teils die vom Eis gesprengten kantigen, scharfen Blöcke, die sie an der Wasserlinie aufgehoben hatten.
Der Steg trotzte Wind und Meer und hielt den Nordost in Schach. Hinter seinem schützenden Arm konnten die beiden Boote, Victors und das kleine, friedlich vor sich hin dümpeln. Tonnen von Steinen. Holz. Unverrückbar lag er da, erbaut von Victor und Edvard mit Hilfe von Jens und Jerker, seinen beiden Söhnen im Teenageralter.
Victor hatte im Laufe seines langen Lebens eine ganze Reihe von solchen Bootsanlegern und Steinbetten gebaut; dieser war vermutlich sein letzter gewesen. Der alte Mann war dabei aufgeblüht wie nie zuvor. Seine Gebrechen waren ihm nicht mehr anzumerken, und er war unermüdlich.
Die Arbeit hatte eine Woche gedauert, und die Jungen waren die ganze Zeit über dagewesen, hatten Bretter getragen, Nägel eingeschlagen und Schrauben angezogen, Steine geschleppt und schließlich auf dem letzten Brett vor dem Meer eine Messingplakette mit ihren vier Namen und der Jahreszahl befestigt.
Eines Nachmittags hatten sie sich die Eishockeyschlittschuhe genommen und waren über das graue Eis fast bis zur offenen See gelaufen. Edvard hatte sie stolz und glücklich beobachtet, aber er war auch voller Angst gewesen, wegen der Risse im Eis und der brüchigen Eiskante. Mit glühenden Wangen waren die beiden zurückgekehrt. Edvard machte ein Feuer, und sie grillten Würstchen am Strand. Viola stieß mit Kaffee zu ihnen, und die Jungen tranken warmen Saft, genau wie im Stadion, wenn die Bandymannschaft von Sirius Uppsala ihr Heimspiel hatte.
Jens hatte Edvard an die Bandyspiele erinnert und daran, wie es gewesen war, als sie Großvater Albert in den Wagen bugsiert hatten und in die Stadt gefahren waren. Seine Stimme hatte dabei wie früher geklungen. Zum ersten Mal seit über zwei Jahren hatte der Junge mit Edvard gesprochen, ohne daß ein Schatten über seine Worte fiel. Voller Eifer hatte er erzählt, verstummte jedoch, als er die Miene seines großen Bruders bemerkte. Jerker hatte nichts gesagt, sondern nur auf das Eis hinausgestarrt.
Jens hatte seinen Vater noch einmal flüchtig angeschaut und geschwiegen. Edvard ging zu seinem ältesten Sohn und stellte sich dicht neben ihn. Victor sprach weiter, während er Holz nachlegte, aber auch er verstummte schließlich beim Anblick der beiden. Edvard wollte etwas sagen, zwei Jahre der Isolation beenden. Er sah den Trotz, aber auch die unterdrückte Sehnsucht, die in dem verbissenen Gesicht seines Sohnes standen. Er wußte, daß er den ersten Schritt tun mußte, und legte den Arm um seinen Sohn.
So blieben sie stehen, reglos und schweigend. Edvard wußte nur zu gut, daß Worte alles wieder zunichte machen konnten, und er gab sich Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Tränen hatte es schon mehr als genug gegeben. Jetzt wollte er einfach nur seinen Sohn im Arm halten. Selbst wenn später alles zum Teufel ging, würde man ihm diesen Moment nicht mehr nehmen können.
»Du bist gewachsen«, sagte er nur und ließ seinen Sohn wieder los.
Sie aßen noch mehr Würstchen. Viola, die wie immer fror, beklagte sich über den Wind und stellte sich ganz dicht an das Feuer.
»In Gummistiefeln bekommt man immer kalte Füße«,
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