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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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hatte Lischka ihm befohlen. „Denk dran, Geduld ist die größte Tugend des Detektivs. Du unternimmst nichts auf eigene Faust, ist das klar?“
    Julius hatte mit verkniffenem Lächeln genickt. Er hatte nie vorgehabt, auf seinen Freund zu hören. Er wusste, dass er es nicht schaffen würde, tagelang zu warten und sich auszumalen, was der Hofrat und Kinsky trieben.
    Plötzlich kam ihm eine Idee. Er suchte ein Blatt Papier und tat etwas, das ein künftiger Detektiv wohl unter Absicherung verstand.
    „Rudolph, ich gehe zum KHM und schaue mich um. Irgendetwas wird dort in den nächsten Tagen passieren. Entschuldige, wenn ich deinen Rat nicht befolge. Sieh es als Übung im selbstständigen Ermitteln für deinen zukünftigen Assistenten. Ich zähle auf deine Hilfe, sollte ich mich erwartungsgemäß in Schwierigkeiten bringen, Julius.“
    Julius wusste, dass er den Inspektor damit verärgern würde. Aber er vertraute auf Lischkas Verständnis, dass er keine andere Wahl hatte.
    Während der Fahrt mit der Elektrischen versuchte er, dem Gefühl nachzuspüren, was ihn antrieb. Waren es tatsächlich die Worte seiner verwirrten Mutter gewesen? Hatten sie wirklich seinen alten Verdacht bestätigt? Julius schob den Gedanken erschöpft beiseite.
    Nein, er war einfach nur neugierig auf die Umstände eines alten Unglücks, das zwangsläufig nun an ihm zehrte. Und vielleicht war diese Neugier nichts anderes als seine Initiation als Privatdetektiv. Vielleicht lag seine Bestimmung dort, in ferner Zukunft.
    Inzwischen war es schon spät am Abend. Doch irgendetwas hielt ihn auf einmal davon ab, gleich zum Museumsplatz zu fahren. Er hatte das Gefühl, er sollte noch warten.
    Julius vertrieb sich die zähe Zeit bei einem belegten Brot und einem Tee in einem Kaffeehaus in der Nähe des Rings. Er las die Zeitungen. Die Meldungen über den Bildermörder flauten schon wieder ab. Er fand nur noch halbherzige Randartikel. Nachtgestalten strömten in den Gastraum. Eine Traube junger Operettensängerinnen und ihre üblichen Bewunderer nahmen in der Nähe des Klaviers Platz. Die Leute, die aus dem Theater oder aus der Oper kamen, fanden sich zu einem späten Imbiss hier ein. Studenten tranken noch ein letztes Bier. Die Luft war erfüllt vom Geruch nach Parfum, Zigaretten und nassen Kleidern. Als die Wärme und der Geräuschpegel des Cafés ihn einzulullen begannen, zahlte Julius und machte sich auf den Weg.
    Auf den Straßen war fast niemand mehr zu sehen. Es war die Kälte, die an diesem Abend die üblichen Herumtreiber im Warmen hielt. Würde die Leere der Straßen einem großen, geheimen Verbrechen entgegenkommen?
    Nachdem er eine Viertelstunde durch den knirschenden Schnee gestapft war, fand er sich an der Seite des Museums wieder, wo der Eingang für das Personal lag. Die Ringstraße, die direkt an diesem Nebeneingang vorbeiführte, war ebenfalls so verlassen wie eine Friedhofsallee um Mitternacht. Das Tor zu den Innenhöfen war geschlossen.
    Was jetzt, du Idiot?, dachte er.
    Der dunkle Kasten des Museums lag auf dem Schnee wie ein lichtschluckendes Ungeheuer. Eine Kirchenglocke durchbrach die Stille.
    Doch dann sah er etwas. Ein zaghaftes Licht flammte in einem der ebenerdigen Fenster auf. Zuerst dachte Julius, es sei vielleicht ein Zimmer des Reinigungspersonals oder dass irgendjemand nachts im Kunsthistorischen Museum Wache hielt. Doch in der nächsten Sekunde knirschte der Schnee, und er sah eine kleine, schlanke Kutsche mit gummierten Rädern die Ringstraße entlanggleiten. Sie bog in die kurze Einfahrt ein und hielt direkt vor dem Tor, das die Straße von den inneren Höfen des Museums trennte. Julius duckte sich hinter ein Gebüsch, das sich unter einer dicken Schneemütze verbarg.
    Plötzlich zitterten alle seine Nerven. Es war, als wäre die heimliche, zappelnde Gewissheit plötzlich ein Körper, der neben ihm im Schnee kauerte und flüsterte: „Ja“, sagte er sich. „Du bist genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen.“
    Julius achtete nicht auf die eisige Kälte, die ihm in die Beine kroch, und beobachtete die Kutsche. Eine Weile geschah nicht, dann öffnete sich der Hintereingang des Museums. Ein buttergelber Schein legte sich über den Schnee, und das Gefährt fuhr wieder an und verschwand in der Hofeinfahrt. Julius sah, dass die Schneedecke in diesem Bereich völlig zertreten war. Es hatte den Anschein, als wäre dort in den letzten Tagen reger Verkehr gewesen.
    Er huschte ein Stück weiter und spähte um die Ecke. Das Tor war

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