Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Medusa so neu aussah, und den Direktor aufforderte, die Rückseite des Bildes zu zeigen. Sollte er doch Rechenschaft ablegen über die seltsam anmutenden Nägel, die die Leinwand am Keilrahmen befestigten. Denn ein Experte würde sofort erkennen, dass die Nägel zwar rosteten – dafür hatte Grimminger stets einen kleinen Wassertank mit Eisennägeln darin –, aber keinesfalls mehrere hundert Jahre alt waren. Früher hatte er alte Nägel beschaffen können, indem er sie aus der Polsterung von antiken Möbeln entfernte, aber auch diese Täuschung konnte auffliegen.
Wie dem auch sei, das war nicht länger Grimmingers Sorge. In ein paar Tagen würde er die Medusa zähneknirschend freigeben und von diesem Moment an die Verantwortung abgeben. Wenn der ganze Schwindel aufflog, wäre er längst im gelobten Land von Schattenbachs Auftraggebern. Sein Schiff in die Vereinigten Staaten würde nächste Woche in Triest ablegen. Er hatte die Passage dafür schon vor Monaten gekauft, als absehbar war, dass es so nicht weitergehen würde.
Was kümmerte es ihn dann noch, dass er mehr als ein Dutzend der bedeutendsten Gemälde aus dem habsburgischen Kunstschatz gefälscht hatte? Das war Kinskys Problem. Er war der rückgratlose, bestechliche Hund gewesen. Außerdem hatte er mit diesem unsäglichen Spiel angefangen. Vor mehr als dreißig Jahren, als das Kunsthistorische Museum gebaut worden war, hatte alles angefangen. Damals hatte Grimminger im Oberen Belvedere, dessen Stellvertretender Direktor Kinsky damals war, ein Selbstporträt von Rembrandt kopiert. Einfach so, nur aus Lust an der Sache selbst. Wochenlang war Kinsky um ihn herumgeschlichen. Eines Tages war er an ihn herangetreten und hatte gefragt: „Würden Sie es mir verkaufen?“
„Was?“, hatte Grimminger geknurrt. „Diese Kopie? Was wollen Sie damit?“
„Ich will es in mein Büro hängen. Es fasziniert mich über alle Maßen, dass jemand so etwas kann. Sie sind ein Genie.“
Und dann war etwas passiert, was Grimminger heute kaum noch nachvollziehen konnte. Er bekam von Kinsky ein derart unwiderstehliches Angebot, dass sämtliche moralischen Alarmglocken, die in seinem Innern hätten schrillen müssen, schwiegen wie kleine, verschlafene Kinder. Eine exorbitante Summe im Gegenzug für die Fälschung eines bestimmten Gemäldes. Der Hofrat hatte sich damals für Correggios Jupiter und Io entschieden, und Grimminger hatte sich ans Werk gemacht.
Seitdem hatte Kinsky Schattenbach in der Hand. Damals hatte die Erpressung ihren Anfang genommen, und der Maler hatte seitdem fürstlich davon profitiert. Nicht, dass er mit dem vielen Geld etwas anfangen konnte – es wäre viel zu auffällig gewesen, wenn ein einfacher Künstler einen solchen Reichtum zur Schau gestellt hätte. Das Geld lag fest verschlossen in einer Truhe in der Werkstatt. Und von diesem Geld konnte man in den Vereinigten Staaten das schönste Haus kaufen. Es wurde wirklich Zeit, dass er die Früchte für seine hervorragende Arbeit und für sein jahrelanges Schweigen ernten durfte.
Grimminger schob die Gedanken an früher beiseite und begann, ein wenig aufzuräumen. Auf dem Tisch lag der fertige Keilrahmen, der nur noch auf die notdürftig getrocknete Leinwand wartete.
Da klopfte es plötzlich an die Werkstatttür, und im nächsten Augenblick schob sich ein regelmäßiger Besucher in den dämmrigen Raum.
„Kranzer, du bist hartnäckiger als mein Schatten“, knurrte der Maler. Er hasste es, dass der Hofrat ihm Kranzer als Aufpasser schickte. Der muskelbepackte Hüne stieß mit dem Kopf fast an den Türrahmen und duckte sich darunter hindurch.
In letzter Zeit war ihm Kranzers Anwesenheit immer lästiger geworden. Grimminger war es leid, dass Kranzer ihn behandelte wie ein begabtes Kind, das jeden Tag begleitet werden musste, damit einem dessen wertvolle Fähigkeiten nicht abhandenkamen.
Der Maler atmete tief durch und mahnte sich zu Geduld. Auch diese unangenehme Sache wäre in wenigen Tagen erledigt.
„Wie weit bist du?“, fragte Kranzer. Seine Stimme klang drängend und ungeduldig, und Grimminger hasste es, wenn man ihn hetzte.
„Du kannst es dir aussuchen“, antwortete er. „Entweder ihr wartet noch ein paar Tage, dann gibt’s eine solide Fälschung. Oder ihr reißt sie mir aus der Hand, und ich kann für nichts garantieren. Aber das werden unsere Auftraggeber wohl selbst am besten wissen.“
Kranzers Gesicht blieb unbewegt.
„Was musst du noch machen, bis du fertig bist?“, fragte
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