Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
er.
„Seit wann interessierst du dich für die Details dieser Arbeit?“, höhnte Grimminger. „Du bist zuständig fürs Grobe, also langweile mich nicht mit deinem gespielten Interesse.“
Kranzer ging nicht darauf ein und wiederholte seine Frage: „Wann können wir es austauschen?“
„Jetzt sofort, wenn das gewünscht wird“, sagte Grimminger voller Verachtung. „Die Qualität ist ja ohnehin längst ins Bodenlose gesunken.“
„Dann würde ich es gern heute schon mitnehmen“, verkündete Kranzer.
Fassungslos sah Otto Grimminger den Mann an. Kranzer stand unbewegt mitten in der Werkstatt wie ein menschlicher Hinkelstein. Irrte er sich, oder hatte die Aura des Handlangers etwas Bedrohliches angenommen? Es sah so schrecklich unpassend aus, wie der Saaldiener zwischen den Regalen mit den feinen Fläschchen und Tiegeln stand. Sein breiter Brustkorb verdeckte eines der fast blinden Fenster und nahm dem Raum noch mehr Licht. Eben noch hatten die ausgesuchten Öle in ihren säuberlich beschrifteten Flaschen golden geschimmert, jetzt schien alles im Schatten zu liegen. Als wäre Kranzer eine Gewitterwolke. Plötzlich fragte sich Grimminger, wozu Louis Kranzer fähig war. Zweifellos zu Schlimmerem, als ihn zur Eile anzutreiben, das ahnte der Maler mit einem unangenehmen Ziehen im Bauch.
Und auf einmal kam ihm die Forderung nach der Fälschung gerade recht. Sollte er die verfluchte Medusa doch mitnehmen, dann hätte er endlich seine Ruhe. Es war nicht mehr an ihm, die Maskerade des angeblichen Originals aufrechtzuerhalten. Er hätte es perfekt gemacht, aber der Hofrat wollte es nicht. Also sollten sie selbst zusehen, wie sie mit dieser Qualität den Schein wahren wollten.
Ohne ein Wort zu sagen, öffnete er die Ofenklappe, nahm eine flache Zange und zog das Gemälde vorsichtig aus der behaglichen Wärme, in der seine Farben trocknen sollten. Er legte es auf einen sauberen Teil des Tisches und starrte Kranzer herausfordernd an.
„Auf eure Verantwortung“, sagte er.
Der Hüne lächelte nur nachsichtig und setzte sich langsam auf einen Stuhl und ließ Grimminger nicht aus den Augen. Dabei schob er wie zufällig eine Geldkassette über den Tisch. Grimminger wusste, dass darin so viel Geld war, dass er sich nie wieder würde um Arbeit bemühen müssen. Er holte tief Luft und nickte.
„Ich muss dir noch ein paar Anweisungen zu dem Bild geben.“
Kranzer nickte.
„Ich habe die Leinwand mit sehr viel Leim imprägniert und schnell getrocknet. Damit erreiche ich, dass die Farbe innerhalb kürzester Zeit abzublättern und zu reißen beginnt. Kinsky soll die Rissebildung unbedingt genau beobachten. Wenn sich genug Risse gebildet haben, so wie es beim Original der Fall ist, muss dieser Prozess aufgehalten werden. Die Leinwand muss auf der Rückseite unbedingt mit Wachs imprägniert werden, damit sich keine weiteren Risse mehr bilden. Ich gebe dir ein Fläschchen mit einer Harz-Wachs-Mischung mit. Kinsky kennt sich ja ein wenig aus. Er soll die Rückseite der Leinwand damit bestreichen.“
Grimminger sah seinen Gast eindringlich an, konnte auf dessen Gesicht jedoch nicht das geringste Anzeichen von Zustimmung oder Verständnis erkennen.
„Kranzer, hast du das verstanden? Wenn diese Methode nicht angewendet wird, hat Kinsky in ein paar Monaten nur noch Brösel und kein Gemälde mehr!“
Kranzer nickte mit einem widerlich milden Lächeln. „Keine Sorge, das geht dich ja bald nichts mehr an.“
Ja, Gott sei Dank, dachte Otto Grimminger und wandte Kranzer den Rücken zu. Vorsichtig legte er den Keilrahmen aus alten Holzleisten auf die Rückseite der Leinwand. Er richtete ihn fadengerade aus; ein äußerst wichtiges Detail, bei dem die Gewebefäden der Leinwand parallel zu den Rahmenseiten verliefen.
„Kranzer, gib mir den Schmutzeimer unter der Bank da drüben“, wies er seinen Gast an und deutete in eine Ecke der Werkstatt.
Kranzer erhob sich lautlos und reichte Grimminger einen kleinen Holzeimer, in dem nichts zu sehen war außer schwarzem Staub. Diesen Schmutz sammelte Grimminger seit Jahren. Ein Grund, warum der Boden der Werkstatt stets staubig und ungeputzt war. So konnte er den Staub der Jahrhunderte bewahren, der sich in einem alten Gemälde immer ansammelte.
Mit einem kleinen Löffel nahm er eine winzige Menge Staub aus dem Eimer und zerrieb ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann streute er ihn ganz vorsichtig zwischen Rahmen und Leinwand. Diese Prozedur dauerte fast eine Stunde, während Louis
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