Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
liegt es für mich nahe, dass sie es auch war, die ihm die Kehle durchgeschnitten hat.“
„Warum sollte sie das tun?“ Julius’ Einwand war nur dahingemurmelt. Er stand noch immer unter dem Eindruck, dass Luise von Schattenbach ihm das Leben gerettet hatte. Die Überraschung lähmte ihn angenehm, und er konnte an nichts anderes denken als ihre kräftigen Hände, die das Leben in seine eigenen zurückbrachten. An ihre seltsam offenen Worte und an die unverhoffte Zuneigung, die sie ihm entgegengebracht hatte. Doch noch immer lag irgendwo die Saat des Zweifels. Konnte es wirklich sein, dass diese Frau ihn ganz uneigennützig befreit hatte und ihm zur Flucht verhelfen wollte? Oder gab es auch hier wieder einen doppelten, geheimen Sinn, von dem er nichts ahnte?
„Ich hatte eigentlich vor, Luise direkt in der Stadtwohnung damit zu konfrontieren, aber dann habe ich deinen Brief gefunden“, sagte Lischka, während er sich neben den stöhnenden Kranzer hockte und ihn mit dem Rücken gegen den offenen Torflügel lehnte. „Und da hat mir meine Nase gesagt, dass du dumm genug warst, im Dreck zu wühlen. Auch wenn du es als Lektion in Sachen Detektivarbeit ausgegeben hast. Ich wusste, dass die Schattenbachs ein Anwesen auf dem Land haben. Und da in der Stadtwohnung alles dunkel und still war, bin ich hier herausgefahren. Ich war also kurz davor, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Genau im rechten Moment, wie ich sehe.“
Plötzlich ertönte hinter Julius ein Knirschen, und eine Stimme sagte: „Oder auch nicht!“
Als er herumfuhr und den zweiten Revolver an diesem Abend sah, der auf ihn gerichtet war, dachte er erschöpft: „Nicht schon wieder.“
Der Mann, der diesmal auf ihn zielte, war ihm nicht bekannt. Er hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Der Mann hatte noch drei weitere Männer als Rückendeckung dabei, die allesamt sehr entschlossen aussahen. Die schwarzen Mäntel und Hüte sagten Julius, dass es Polizeiagenten sein mussten.
Aber warum zielte dann einer der anderen Männer auf Lischka, fragte er sich und drehte sich irritiert zu seinem Freund um. Der stand stöhnend auf und hob mehr resigniert als erschrocken die Hände und sagte: „Leutnant Tscherba. Muss das wirklich sein?“
„Halten Sie den Mund, Lischka! Mit Ihnen spreche ich später.“
„Was soll das?“, fragte Julius. Er kam gar nicht auf die Idee, die Hände zu heben. Er starrte auf den verbissenen Mund seines Gegenübers, das den Revolver noch ein wenig höher hob und die Schultern straffte, als würde er zu einer wichtigen Rede ansetzen.
„Julius Pawalet, Sie werden beschuldigt, den Maler Otto Grimminger ermordet zu haben. Sie sind festgenommen.“
Einer der Begleiter Tscherbas löste sich von der Gruppe, und im nächsten Moment waren Julius’ Hände schon wieder in den stählernen Schellen gefangen.
„Was?!“, rief Inspektor Lischka fassungslos aus.
„Die Leiche des Malers wurde vor wenigen Stunden gefunden. Es hat keinen Sinn, das abzustreiten, Pawalet. Sie selbst sind vor ein paar Wochen in die Werkstatt dieses Mannes eingebrochen und sind arretiert worden. Wahrscheinlich wollten Sie den Mann damals schon umbringen, wurden aber daran gehindert. Jetzt haben Sie Ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt, aber ich kann mit großer Freude sagen, dass es kein großer Aufwand war, Ihnen auf die Schliche zu kommen.“
Ein selbstzufriedenes Grinsen überzog das Gesicht des Leutnants. Seine Finger lagen fast zärtlich auf der Schusswaffe. Seine Begleiter warfen ihm einen anerkennenden Blick zu, und wenn sie keine Handschuhe getragen hätten, sie hätten ihm zweifelsohne applaudiert.
„Es ist ein schöner Zufall, dass ich Sie gefunden haben, Pawalet. Ich musste nur Ihrem neuen Freund Inspektor Lischka folgen. Ach, übrigens, Lischka: Ich bescheinige Ihnen offiziell, dass Sie der schlechteste Polizeiagent von ganz Wien sind. Sie haben nicht gemerkt, dass ich Ihnen seit einer Woche folge und Sie beschatten lasse.“
„Kein Wunder, dass der Bildermörder dann immer noch frei herumläuft!“, knurrte Lischka.
Der Leutnant lachte leise. „Ja, das mag sein. Es ist interessant zu beobachten, wie Sie mit einem eindeutigen Befehl umgehen. Sie haben bewusst eine Dienstvorschrift missachtet, indem Sie eigenmächtig entgegen den Anweisungen Ermittlungen im Fall des Bildermörders angestellt haben!“
„Alois Lanz“, sagte Lischka.
„Was?“, bellte Tscherba.
„Alois Lanz. Der Mörder heißt Alois Lanz.“
„Das wissen wir bereits! Dank
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