Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
die Kutsche, schnell!“, flüsterte sie und zog ihn rückwärts.
Doch Kranzer hatte die Bewegung wahrgenommen, drehte sich blitzschnell um und hob den Revolver. Ein Schuss zerschnitt die angespannte Stille, und draußen begannen die Pferde angstvoll zu wiehern.
Luise starrte Julius an und versuchte herauszufinden, warum er immer noch auf zwei Beinen stand. Ihre Augen tasteten seinen Mantel nach dunklen, größer werdenden Flecken ab, aber da war nichts. Dann hörte sie ein leises Scheppern, und am Rande ihres Gesichtsfeldes sank jemand zu Boden. Es war Kranzer, der sich auf dem Boden wand und sich das Bein hielt. Aus dem Revolver des Inspektors stieg Rauch auf. Als würde Kranzer erst jetzt spüren, was mit ihm geschehen war, fing er an, aus vollem Hals zu schreien. Hilflos blickte der Hofrat zu seinem am Boden liegenden Schergen, und der Inspektor steckte seine Waffe wieder ein.
„Wo ist Ihre Frau, Schattenbach?“, fragte er den Hofrat.
„Was … welche Frau?“, antwortete er fahrig.
Luise hielt den Atem an.
„Was gibt es, Inspektor?“, fragte sie aus der Dunkelheit heraus. Sie merkte plötzlich, dass Lischka sie im Zwielicht nicht erkennen konnte. Er kniff die Augen zusammen und starrte in den Schatten zwischen den Kutschen in der Remise.
„Julius, geht es dir gut?“, rief er.
Julius nickte fahrig und sah Luise an.
„Du hast Glück, dass dieses Weib sich wegen ihrer kleinen Zurschaustellung letzte Woche sogar zur Mörderin gemacht hat! Sonst wäre ich jetzt nicht hier.“
Julius warf einen irritierten Seitenblick auf Luise. Was meinte der Inspektor?
„Was sagen Sie dazu, Frau Hofrat?“, rief der Inspektor, und kam zum Eingang der Remise.
Kranzer stöhnte und jammerte immer noch. Und der Hofrat stand wie angewurzelt da und schien nicht zu begreifen, was um ihn herum geschah.
„Ich sage dazu, dass ich keine Ahnung habe, was Sie damit meinen!“, sagte Luise, und die Empörung trieb sie zwischen den Kutschen hervor.
„Sie sind hervorragend darin, die Ahnungslose zu spielen, das wissen wir schon!“, schleuderte Lischka ihr entgegen. „Sie haben sich doch sicherlich gefragt, wann die Leiche des armen Juweliers gefunden wurde. Glückwunsch, meine Liebe. Es hat fast fünf Tage gedauert. Was haben Sie denn gedacht? Dass ich ein Idiot bin und Ihnen nicht auf die Schliche komme?“
„Nein, ich sage, dass Sie ein Idiot sind, weil sie denken, dass ich es gewesen bin!“, antwortete Luise und versicherte sich mit einem Seitenblick auf Julius, dass er den Worten Lischkas keinen Glauben schenkte. Doch der Junge sah schon wieder misstrauisch drein.
„Was wird hier gespielt?“, wollte Lischka wissen. „Was soll diese kleine Versammlung bei Nacht und Nebel?“
„Damit hat Luise nichts zu tun!“, mischte sich Julius ein. „Sie hat mir gerade das Leben gerettet. Der Hofrat und Kranzer haben –“
„Halten Sie den Mund, Pawalet!“, krähte der Hofrat. „Sie wissen gar nichts!“
„Nein? Sie haben mir doch gerade die ganze Geschichte erzählt, Schattenbach!“, schrie Julius zurück.
„Julius, was ist hier los?“, drängte der Inspektor.
„Du weißt doch, was ich dir erzählt habe!“, sagte Julius. Seine Stimme klang gepresst. „Du kommst genau richtig, um es zu verhindern.“
Aus den Augenwinkeln sah Luise, dass ihr Mann sich langsam rückwärtsbewegte, doch sie achtete nicht darauf. Sie wollte wissen, was Lischka als Nächstes tun würde.
Julius trat vor und ging auf den Inspektor zu. Atemlos stieß er hervor: „Sie holen Bilder aus dem Museum und verscherbeln sie auf der ganzen Welt. Es ist alles wahr, ich habe –“
Zu Luises grenzenloser Verwunderung wedelte Lischka ungeduldig mit den Händen und verzog das Gesicht.
„Darum kümmern wir uns später!“, unterbrach er Julius ungehalten. „Ich bin wegen ihr gekommen.“ Er zeigte auf Luise. „Sie werden verdächtigt, den Juwelier Efraim Efrussi ermordet zu haben. Wir wissen, dass Sie die Requisiten für Ihren freizügigen Auftritt bei ihm in Auftrag gegeben haben. Und jetzt musste er sterben, damit er sie nicht verraten kann!“
„Dass er sterben musste, ist überaus bedauerlich!“, zischte Luise. „Aber haben Sie schon einmal daran gedacht, dass es noch andere Gründe gibt, warum er sterben musste? Gründe, die nichts mit mir zu tun haben?“
„Das werden wir nicht hier feststellen, Madame. Dazu gibt es spezielle kleine Zimmerchen mit vergitterten Türen und Fenstern. Das müsste Ihnen doch zusagen, nicht wahr?
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