Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Kinsky ihn einstellt, nach allem, was wir mit Pawalet durchgemacht haben?“
„Er hat es ihm wahrscheinlich versprochen. Ich glaube, dass dieser Julius ganz harmlos ist.“
„Wer sagt das? Kranzer?“
Luise nickte und schob ein Stück Brokkoli zwischen ihre perfekten Zähne. Wenn doch nur alle Schwierigkeiten von diesen hübschen Kiefern zermalmt werden könnten so wie dieses Gemüse, dachte Viktor von Schattenbach.
„Was weißt du noch?“, fragte er. Sein Magen begann zu schmerzen. Aber das war kein Schmerz, den er genossen hätte.
„Kranzer hat mir erzählt, dass Joseph jahrelang keinen Kontakt mit seinem Sohn hatte und wohl schon lange geplant hat, ihm seine Stelle zu hinterlassen. Die beiden kannten sich eigentlich gar nicht.“
„Du meinst, er hat ihm nichts erzählt? Und wenn er nun einen Abschiedsbrief geschrieben hat an seinen Sohn, in dem die Wahrheit steht?“
Luise schüttelte lächelnd den Kopf. „Viktor, ich bitte dich. Kinsky ist nicht so dumm, wie du denkst. Er hat diesen Abschiedsbrief natürlich nicht an Julius weitergegeben. Darin stand nämlich genau das, was du befürchtet hast. Er hat einen anderen Brief geschrieben, in dem nichts Verfängliches stand. Glaub mir, dieser Junge ist harmlos. Der hat sein Leben in den bescheidensten Verhältnissen verbracht; was versteht er schon von unserer Sache? Es würde mich wundern, wenn er überhaupt irgendetwas über Kunst weiß. Dass Kinsky diesen Julius eingestellt hat, bedeutet nur, dass er dem Alten gegenüber ein schlechtes Gewissen hat. Du kennst doch Kinsky. Er ist sentimental.“
„Und warum informiert mich Kinsky nicht selbst über diese Neuerung?“ Der Hofrat war immer noch aufgebracht.
„Weil er wahrscheinlich denkt, dass das nicht nötig ist. Er sieht keine Veranlassung, dich zu informieren, wenn Pawalets Sohn so unbedeutend ist.“
„Du denkst also, dass es keine Schwierigkeiten gibt?“
„Viktor!“, rief seine Frau lachend aus. „Warum so ängstlich?“
Der Hofrat seufzte und errötete vor der Stärke seiner Gattin. „Entschuldige, Luise. Ich bin immer noch etwas auf der Hut wegen der Sache mit dem alten Pawalet. So etwas können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten.“
„Keine Sorge“, tröstete Luise ihn, „Julius Pawalet ist nur ein schlafwandelnder Schwächling. Er kann uns nichts anhaben.“
Mit Erleichterung sah Viktor von Schattenbach die Palatschinkentorte, die die Köchin zum Nachtisch hereinbrachte. Als die Tür wieder geschlossen war, sah er Luise mit schräg gelegtem Kopf an. „Mein Liebes, meinst du, ich könnte …?“
„Was?“, fragte sie und starrte ihn abschätzig an.
„Also, wenn es dir recht ist, dann würde ich gern …“
„Was?!“, rief sie ihm über die Kristallgläser, Blumenvasen und Kerzenleuchter hinweg zu. Ihre Stimme klang kalt und doch süß, wie das Kirschsorbet, das es zu der Palatschinkentorte gab.
„Bitte, ich möchte so gern …“
„Komm und hol es dir!“, sagte Luise und schob ihren Stuhl zurück.
Der Hofrat zuckte zusammen vor lauter Freude. Er rutschte vom Stuhl und nahm seinen Dessertteller vom Tisch. Auf Knien schob er sich ins Reich seiner Frau.
Er schlüpfte unter die Tischdecke und näherte sich ihren Beinen. Wie zwei Ausrufezeichen aus Strumpfseide ragten sie vor ihm auf. Mit zitternden Fingern machte er sich daran, die Lackstiefeletten aufzuschnüren und sie ihr vorsichtig von den Füßen zu ziehen. Darunter kamen ihre zarten Zehen in der schwarzen Seide zum Vorschein. Selbst im Dämmerlicht unter dem Tisch sah er ihre perlmuttfarbenen Zehennägel schimmern, so dünn war die Seide. Behutsam strich er an ihren Waden empor und lauschte auf das behagliche Schnurren Luises. Er liebkoste ihre Knöchel, die Fußsohlen und den Ballen und stellte sich vor, der Strumpf wäre aus den Flügeln von Nachtfaltern gemacht. Dann nahm er nacheinander die Füße seiner Gattin in den Mund, leckte und küsste die Innenseite ihrer Sohle, saugte an jedem Zeh, als wollte er sie alle einzeln begrüßen, und drückte seine Nase in die kleine Mulde ihrer Ferse. Über der Höhle der Tischdecke hörte er das gedämpfte Klappern ihres Bestecks. Das war das Zeichen. Der Hofrat senkte behutsam Luises Füße auf seinen Nachtischteller. Ließ sie das halb weiche Sorbet zerdrücken, ließ sie die Palatschinkentorte zertreten und sah zu, wie unter den wunderbaren Rührlöffeln ihrer Zehen sein Nachtisch zu einem süßen, matschigen Brei wurde. Dann legte er sich auf die Seite und begann
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