Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Zeichen. „Na, na, was denken Sie denn über die Wiener Polizei, Pawalet? Ich will Ihnen nichts anhängen. Nur ein paar Fragen stellen. Und dazu ist kein Ort besser geeignet als der Schottenring.“
Der Fiaker fuhr an, und schon rumpelten sie weiter. Allmählich verlor sich der Geruch des Feuers hinter dem Gestank von Julius’ eigener Angst. Was, wenn Lischka ihn für den Brand verantwortlich machen wollte? Verdächtig genug war er in dessen Augen allemal.
„Was glauben Sie“, fragte Lischka in einem provozierend unbekümmerten Tonfall, „wozu steckt jemand eine Wohnung in Brand?“
„Um etwas zu vernichten? Beweise?“
Julius zwang sich, ruhig zu antworten. Er versuchte den Blick des Inspektors festzuhalten. „Ich habe diese Wohnung nicht in Brand gesteckt.“
„Dieses Haus. Sie meinen das ganze Haus.“
„Verdammt, ich war es nicht!“
„Das werden wir herausfinden. Damit wird der Fall Ihres armen Vaters in eine nächsthöhere Dringlichkeitsstufe beim Sicherheitsamt eingehen, ob Sie wollen oder nicht. Erst die Sache mit dem Erhängen, dann der Brand. Jemand versucht, etwas zu verwischen. Und Sie, mein lieber Pawalet, sind nicht gerade die Unschuld vom Lande. Das weiß ich spätestens, seit ich mich gestern über Sie informiert habe.“
„Über mich gibt es nichts zu wissen.“
„Ach nein?“ Lischka lächelte ihn verschlagen an.
Julius wurde schlagartig übel. Er würde doch nicht …?
„Und was war mit dem Einbruch in diese Buchhandlung vor fünf Jahren? Glauben Sie, so ein aus intellektuellem Durst begangenes Verbrechen zählt nicht?“
Julius war verblüfft. Wie konnte Lischka das herausgefunden haben?
„Ich … ich bin nicht eingebrochen –“
„Nein, Sie sind nur nachts durchs Fenster eingestiegen, nachdem man den verstorbenen Besitzer gerade abtransportiert hatte. Dachten sich wohl, jetzt gehört das Zeug ja niemandem mehr, dann kann man es sich auch gleich nehmen. Der Nachmieter des Buchladens hat den auffälligen Schwund kunsthistorischer Sachbücher beklagt und den Diebstahl bei der Polizei angezeigt. Es waren sehr wertvolle Bücher. Die Freie Presse hat sogar einen kleinen Artikel darüber geschrieben damals.“
„Ich lese keine Zeitung“, murmelte Julius. Es war also nicht im Verborgenen geblieben, was er seinerzeit in einer Mischung aus guter Gelegenheit und fehlender Vernunft getan hatte.
„Aber diese Bücher – die haben Sie gelesen, was?“, fragte Lischka.
Julius starrte ihn wortlos an. Er hätte auch schuldbewusst nicken können.
„Was war das doch gleich? Eine Rubens-Biographie. Ornamentkunde. Geschichte des Stilllebens. Velazquez und seine Zeit. Techniken der Ölmalerei. Habe ich etwas vergessen?“
Pawalet fuhr auf „Hören Sie, was soll das? Woher wissen Sie das alles?“ Eine eisige Hand schloss sich um seinen Magen. Lischka konnte das alles nur wissen, wenn er … nein, das konnte nicht sein. „Sie sind in meiner Wohnung gewesen!“, fuhr er ihn an.
Lischka lächelte milde und nachsichtig. „Nun übertreiben Sie mal nicht. Diese traurige Abstellkammer kann man kaum Wohnung nennen. Aber die Bücher! Wie liebevoll eingeordnet die da auf ihrem Fensterbrett stehen.“ In seinem Mundwinkel zuckte ein süffisantes Lächeln.
Julius hätte es ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen. Doch er knurrte nur: „Machen Sie aus einem Bücherdieb keinen Brandstifter, Herr Inspektor.“
„Ich weiß, dass Sie es nicht waren. Und unsere kleine Kutschfahrt hat keinen anderen Zweck gehabt, als das herauszufinden.“
„Das ging ja schnell mit Ihrer Erkenntnis. Beschaffen Sie mir jetzt auch eine neue Anstellung?“ Die Wut über Lischkas Auftritt im Museum übermannte ihn wieder.
„So schnell wird niemand entlassen“, winkte der Inspektor ab. „Aber eins sollten Sie wissen: Passen Sie auf Dr. Gustav Kinsky auf. Der Mann hat eine Vorliebe für schillernd bunte Westen, um zu überdecken, dass er keine weiße vorzuweisen hat. Er weiß etwas. Glauben Sie ihm nicht alles.“
„Woher wissen Sie das?“
„Ich weiß es nicht. Mein Instinkt sagt mir das. Und das sind zwei völlig verschiedene Dinge.“
In diesem Moment blieb der Fiaker stehen, und Lischka öffnete die Tür. Julius stieg aus und fand sich vor einem langgestreckten Gebäude, in dem das Bezirkspolizeikommissariat untergebracht war. Lischka drückte dem Kutscher eine Münze in die Hand, und der tippte daraufhin seine Pferde mit einer langen Reitpeitsche an und fuhr weiter.
„Und was soll ich jetzt
Weitere Kostenlose Bücher