Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
Vom Netzwerk:
verabscheute, und doch war es so. Aus ihm völlig schleierhaften Gründen widerte Grimminger ihn an. Der siegessichere Griff dieser Hand zu diesem Pinsel, der etwas Einzigartiges zu schänden schien, löste eine tiefe Feindseligkeit in ihm aus. Wenn er wenigstens ein mittelmäßiger Kopist gewesen wäre! Aber die Genialität dieses Mannes kam Julius vor wie ein teuflischer Hohn gegen Rubens.
    Grimminger sah zu Julius auf und zwang seine Lippen zu einem Lächeln. Falls man das Entblößen seiner stumpfen Zähne zwischen den ausgetrockneten Lippen so nennen konnte.
    „Sie verhalten sich sehr verräterisch, mein lieber Pawalet. Dieser Anflug von Spott legt nichts anderes bloß als Ihre Eifersucht. Ihr Vater konnte mich auch nicht leiden. Er ist um mich herumgeschlichen wie ein kranker Hund. Ich glaube, er dachte, dass ich etwas Böses im Schilde führe. Das ist den gemeinen, niederen Menschen allen gleich. Sie verdammen die Ursprünge der wahren Schönheit, indem sie sie mit ihren billigen Ansichten in den Schmutz ziehen. Wirklich, es wundert mich nicht, dass Sie ganz genauso sind.“
    Julius trat einen Schritt zurück und legte den Kopf schief. Auf diese Worte gab es nichts zu erwidern. Er sagte nur: „Ich glaube, unter den ausländischen Gästen ist einer, der mit Vorliebe Dinge anrempelt und umstößt.“
    Damit drehte er sich um und entfernte sich von der Staffelei. Nur, um im nächsten Moment gleich wieder zu erstarren. In der Tür zum Rubens-Saal stand Luise von Schattenbach. Schwarz und schimmernd lehnte sie am Türstock, mit verschränkten Armen und mit dem Ausdruck einer Mutter im Gesicht, die beobachtet, wie zwei Kinder sich zanken. Hinter ihr näherte sich allmählich das Geräusch einer großen Menschengruppe. Die Frau tat nichts. Sie sah nur den Kopisten an und machte eine kleine ruckartige Bewegung mit dem Kopf. Und Grimminger stand auf, nahm seine Staffelei und verschwand aus dem Saal.
    Noch ehe Julius sich wundern konnte, waberte auch schon die große Besuchergruppe in den Saal, und er verlor Luise von Schattenbach aus den Augen. Der Parkettboden knarrte laut unter den vielen Füßen. Die Abordnung blieb vor einem riesigen Rubens-Gemälde stehen, das die Erdteile der Welt bebilderte. Während der Kustos die Einzelheiten des Bildes erklärte, bemerkte Julius, dass von den anderen Museumsbesuchern ein Mann zu der Gruppe trat, um mitzuhören. Julius schlenderte an ihnen vorüber und kam sich dabei vor wie ein eifersüchtiger Schäferhund, der darüber wachte, dass nur ja kein Mantelärmel die kostbaren Gemälde streifte.
    „Es ist doch sicher erlaubt, mitzuhören, oder?“, raunte der Fremde Julius zu.
    Pawalet nickte nur gleichmütig. Die dunklen Anzüge vor ihm verschwammen zu einer wogenden Masse. Die aufragenden Hüte wuchsen zu einem tristen, entlaubten Wald an, und das Gescharre der Lackschuhe auf dem Holzboden wurde zum fernen Getrippel Hunderter Mäuse. Julius war auf einmal sehr müde und sehnte sich danach, auf einer der samtenen runden Bänke Platz zu nehmen. Plötzlich wurde aus der Menschenmasse vor ihm ein Gemälde. Ein in Ölfarbe erstarrtes Gruppenbild, aus dessen Mitte ein helles Gesicht strahlte. Wie bei Rembrandts Nachtwache , dachte Julius träge. Und das geheimnisvolle Gesicht der blonden Frau in der Mitte hatte in diesem Moment die Züge von Johanna. Die Ereignisse der vergangenen Tage hatten sie ganz in die Tiefe seines Bewusstseins gedrängt, wo sie nun lag wie ein heller Stein in brackigem Wasser und bis hoch zur Oberfläche schimmerte.
    Wenn Julius abends frierend im Bett lag und darauf wartete, dass er sich mit seinem ersten Monatslohn eine bessere Unterkunft leisten konnte, wanderten seine Gedanken zurück in die Suppenanstalt und verloren sich in den dunstigen Schleiern der Töpfe, hinter denen irgendwo Johanna war. Er hatte seitdem keine Gelegenheit gefunden, sich ihr wieder zu nähern. Außerdem war er immer noch zutiefst verwirrt von ihren letzten Worten. Aber Johanna hatte recht: Falls das seltsame Kitzeln in seinem Nacken, sobald er an sie dachte, bedeutete, dass diese letzten Worte der Wahrheit entsprachen, dann war er wohl verliebt.
    Julius versuchte, diesem Gefühl nicht allzu viel Bedeutung beizumessen. Es war ihm fremd, und er fühlte sich seltsam getrieben, seit Johanna ihm mit mitleidigem Blick die gespendeten Kleider gegeben hatte. Als wäre in seinem Innern irgendwo ein Taubenschwarm, der raschelnd aufstob, sobald er an sie dachte.
    Allmählich verlor sich vor

Weitere Kostenlose Bücher