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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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gezüchtigt hatte. Vielleicht, so dachte er, esse ich deswegen so viel. Um die Fläche zu vergrößern, auf der sie spielen kann. Um möglichst viel Platz zu haben, auf dem ich sie empfinden kann.
    Aber wenn er die Grenze zu Luises Reich übertreten würde, wären all diese Wonnen vorbei, das wusste er. Dann würde sie ihre gemeinsame Hälfte des Hauses nicht mehr betreten. Der Hofrat hatte keine Ahnung, was seine Gattin in einem solchen Fall milde stimmen konnte. Geschenke fand sie albern. Einladungen langweilten sie. Und seine Unterwürfigkeit ärgerte sie meistens so sehr, dass sie ihn ignorierte. Deswegen vermied er es, in diesen Teil des Hauses zu gehen.
    Denn dort gingen andere Männer ein und aus. Sie kamen, um für das zu bezahlen, was der Hofrat insgeheim sein Eigen nannte. Sie kamen, um etwas zu bekommen, was keine Kurtisane in ganz Wien zu bieten hatte. Nicht, dass sie eine Hure war, nein! Aber diese sonderbaren Genüsse kannte nur Luise. Und sie gab sich längst nicht damit zufrieden, sie an ihrem dicken Gatten auszuleben. Sie wollte unabhängig sein. Gefährliche Worte hallten ihm in den Ohren: „Wenn du mich auf die Straße setzt, Viktor, werde ich keine Not leiden. Du ahnst ja gar nicht, wer gestern bei mir war. Du kennst ihn …“
    So hielt sie ihn bei sich, und der Hofrat hielt sich für den glücklichsten Mann der Welt.
    An diesem Tag aßen sie gemeinsam zu Mittag. Luise kam immer um halb eins aus ihrem Reich und setzte sich zufrieden lächelnd an den Tisch im Speisezimmer. Der Hofrat erwartete sie ungeduldig und sehnsüchtig. Er verspürte den Stachel der Eifersucht, als er ihre leicht geröteten Wangen sah. Doch diesen Stachel hatte er im Lauf der Jahre gestutzt und abgeschliffen. Jetzt war sie hier bei ihm und nicht mehr bei irgendeinem reichen Jüngling, der jetzt mit wund geschlagenem Sitzfleisch in einer Kutsche davonfuhr.
    Die Köchin servierte ihnen eine Suppe aus Kürbis und Tomaten. Bevor der Hofrat seinen Löffel in den Teller senkte, sah er zu, wie Luise genüsslich die Augen schloss und einen ersten Löffel von der Suppe nahm. Hingerissen betrachtete er ihre schlanken, weißen Finger und fragte sich, was sie gerade getan hatten. Hielt sie den Griff des Löffels nicht genauso wie den der afrikanischen Lederrute, die sie vor einigen Jahren von einem fahrenden Händler gekauft hatte und die unter dem Bett des Hofrats wartete?
    „Ist sie gut?“, fragte er.
    „Sie ist perfekt.“
    Schweigend betrachtete er seine Frau. Das Rollen ihres kleinen Kehlkopfs, wenn sich schluckte, und die winzige Wellenbewegung, die durch ihr silbernes Halsband fuhr. Anschließend wurde der Tafelspitz serviert, die Lieblingsspeise des Hofrats. Luise, die kein Fleisch aß, bekam gestampfte Kartoffeln und gedünstetes Gemüse.
    „Was hast du heute gemacht, meine Liebe?“, fragte er nach den ersten butterweichen Bissen.
    „Ich war im Museum heute Morgen“, antwortete sie. „Warum fragst du immer wieder? Ich bin fast jeden Tag dort, das weißt du doch.“
    „Entschuldige, mein Schatz, ich tue mir manchmal so schwer, mit dir zu sprechen, wenn du gerade … na, du weißt schon.“
    „Wenn ich Besuch hatte? Ja, ich verstehe. Und deswegen stellst du lieber die ewig gleichen Fragen, um einen höflichen Einstieg in unsere Konversation zu suchen, nicht wahr?“ Ihre Stimme war durchaus liebevoll und freundlich. Aber dahinter klang etwas Metallisches durch, das den Hofrat wohlig einschüchterte.
    „Es ist jemand Neues angestellt worden im Museum. Ein neuer Saaldiener“, sagte sie. Jetzt klang sie lauernd. Der Hofrat sah von seinem Teller auf.
    „Wie heißt der Mann?“
    „Ich sage es dir nur, wenn du nicht aus der Haut fährst.“
    „Warum sollte ich aus der Haut fahren?“, fragte er verblüfft.
    „Weil es der Sohn vom alten Pawalet ist.“
    Der Silberlöffel des Hofrats knallte auf das Porzellan.
    „Reg dich bloß nicht auf. Ich esse!“, zischte Luise und sah ihn streng an. Doch diesmal wirkte es nicht. Der Hofrat schob seinen Stuhl zurück und schleuderte seine Serviette zu Boden.
    „Was?!“, rief er, „Was hat dieser Dummkopf Kinsky getan? Warum stellt er den Sohn von Pawalet ein?“
    „Das ist doch nicht wichtig“, beschwichtigte Luise. „Der Mann ist ein Wrack. Er ist irgendwie recht verwirrt und unsicher. Er läuft durch die Gegend wie ein Geist. Gestern hat er mich unten in der Halle fast umgerannt. Er sieht aus, als käme er aus der Gosse.“
    „Ja, aber er ist sein Sohn! Wie kommt es, dass

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