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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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einstellen“, murmelte er.
    „Wie … wie bitte?“, fragte Schindl. „Wie meinen Sie das?“
    „Die Frau, die vor drei Tagen mit der Giftschlange ermordet wurde. Es ist derselbe Täter.“
    „Aber das war doch etwas ganz anderes“, erwiderte Schindl verständnislos.
    „Ja, schon. Aber irgendetwas daran kommt aus demselben Antrieb. Ich weiß nur noch nicht, was.“ Er warf einen Seitenblick auf Schindl. „Finden Sie nicht, dass etwas sehr Theatralisches in beiden Morden liegt? Etwas Pompöses?“
    Schindl nickte, aber der Inspektor wusste, dass der andere ihn nicht verstand.
    Lischka betrachtete nachdenklich die Leiche und sah schon die Schlagzeilen der Neuen Freien Presse vor sich: „Schon wieder versetzt unheimlicher Mörder Wien in Angst und Schrecken.“
    Der Inspektor hatte im Laufe seiner Zeit beim k. u. k. Sicherheitsamt schon zwei Mal einen Serienmörder aufspüren müssen. In dieser Zeit war er manchmal nachts aus dem Schlaf geschreckt und hatte sich gefragt, ob er es überhaupt verdiente zu schlafen, solange der Täter nicht unschädlich gemacht war. Und wenn Inspektor Lischka die Schlagzeilen der Neuen Freien Presse las, schlich sich eine zweite Schlagzeile in seine Gedanken: „Inspektor Lischka verschuldet neues Opfer.“
    Mit jedem weiteren Leichenfund hatte er sich mehr als Handlanger des Mörders gefühlt. Und mit jeder neuen Schockwelle, die nach einer solchen Tat durch die Stadt rollte, fühlte Lischka sich gleichsam als kaltblütiger Mörder. Die Rätsel, die solche Fälle aufwarfen, stürzten ihn in die Angst, er sei unfähig und damit mitschuldig an dem Bösen, das in solchen Zeiten in die Stadt kam.
    Und jetzt war es wieder so weit, dachte er und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.
    Wer bist du diesmal, dass du dich so grausam verkünstelst?, dachte er. Wer bist du, dass du es schaffst, dass ich mich schon wieder so hilflos fühle? Lischka drehte sich um und hoffte, dass Schindl ihm nicht ansah, wie schwach er war. Er wollte die Leiche nicht mehr sehen, die in diesem Moment von dem Steinpfeiler gelöst wurde, um ins pathologische Institut gebracht zu werden.
    Die halboffenen, starren Augen des Mannes – Lischka glaubte, dass sie ihn verhöhnten.

VIII
    Der Winter fiel über Wien her, drückte die Menschen nieder mit seinem Gewicht und nahm ihnen den Atem. Die Pflastersteine glänzten wie poliertes Silber, die Luft stand, als wäre sie aus Glas. Die Menschen in ihren Mänteln schoben sich über die Straßen, steif wie Blechspielzeug, und die Kaffeehäuser waren überfüllt.
    Alles schien stillzustehen, und Julius Pawalet bekam bei seiner neuen Arbeit als Saaldiener einiges zu tun. In der Kälte fanden immer mehr Menschen den Weg ins Kunsthistorische Museum, während die Gärten und Parks im Winterschlaf versanken.
    Julius Pawalet trat von hinten an Otto Grimminger heran und räusperte sich. Das Blut aus dem Halsstumpf der Medusa war dunkler und glänzender geworden, und die Schlangen sahen aus, als könnten sie jeden Moment über den Rand der Leinwand fliehen. Mit Schaudern betrachtete Julius den Ausdruck der toten Gorgone. Er stimmte ganz genau überein mit dem im Original. Als hätte das Genie Rubens aus dem Jenseits eine ausführende Hand gebraucht und sie in Otto Grimminger gefunden. Die kleine Lupe, die an einer Schnur von der Staffelei hing, schien nur als kleine fadenscheinige Rechtfertigung für dieses fast unmenschliche Meisterwerk herzuhalten.
    „Ja, was ist denn?“, erwiderte der Kopist. Seine Stimme klang mühsam beherrscht. Er sah nicht auf von seiner Arbeit.
    „Ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, dass gleich eine Delegation der Hofburg kommt, die heute einer Gruppe ausländischer Diplomaten eine Führung hier angeboten hat.“
    „Und jetzt wollen Sie mich warnen, dass es laut und voll wird, was?“, entgegnete der Kopist ungerührt.
    „Nein, ich wollte Ihnen raten, vielleicht für eine halbe Stunde Pause zu machen, damit Sie niemandem im Weg sitzen.“
    Jetzt drehte der Kopist sein bebrilltes Gesicht zu Julius um und starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an.
    „Oh, geben Sie sich keine Mühe, sie schafft es nicht, mich einzuschüchtern.“
    Julius deutete lächelnd auf die Medusa, deren Bannstrahl wirkungslos geworden war. Sein Spott floss aus einer unsinnigen Laune heraus, das wusste er. Er konnte sich nicht erklären, warum er Grimminger erzürnen wollte. Er redete sich ein, dass es nicht das Talent des Mannes war, das er so heftig

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