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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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Ursprung der Greueltaten genauer anzusehen.
    Beunruhigt kam Kinsky hinter seinem Schreibtisch hervor und ging mit Prohaska in die Museumsräume. Viktor von Schattenbach folgte ihnen.
    Was die Männer in den oberen Räumen des Museums erwartete, glich einer Mischung aus Zirkus, Prater und Wochenmarkt. Die Menschen schrien durcheinander, drängten sich aneinander vorbei, reckten die Köpfe und stießen sich in die Rippen. Sie scharten sich um die großen Alten Meister und gafften, wie man sonst nur Schlangenmenschen oder siamesische Zwillinge begaffen würde. Da hingen diese Bilder schon seit fünfzehn Jahren hier, und die meisten hatten noch nie den Fuß ins Kunsthistorische Museum gesetzt, dachte Schattenbach verächtlich. Doch plötzlich lag ein Hauch von Gefahr und Nervenkitzel um die alten Ölgemälde. Hier hatte er vielleicht gestanden, der Kunstmörder von Wien! Hier, vor der barocken Kreuzigungsgruppe, und hatte sich vielleicht ausgemalt, wie er sie in die Tat umsetzen konnte. Oder da – das schreckliche Cranach-Bild mit Judith und dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes!
    Der Hofrat sah abgewetzte Jacketts, staubige Mützen und durchgelaufene Schuhe, rotbackige Gesichter und strähnige Haare unter schlaffen Hauben. Im Hintergrund sah man nur wenige feine Damen, die sich an den Arm ihres Begleiters klammerten und sich dem Kitzel aussetzten, etwas Verlockendes, Schauriges mit dem gemeinen Volk zu teilen.
    „Lassen Sie unten eine Sperre errichten!“, schrie Kinsky Prohaska zu. „Es dürfen keine Leute mehr ins Museum!“
    Prohaska nickte mit weit aufgerissenen Augen und quetschte sich durch die Menschenmassen. In Kinskys Augen stand die Panik, dass die kostbaren Gemälde Schaden nehmen könnten.
    Die Menschenmenge zerrte den Hofrat und Kinsky mit sich, trug sie von einem Saal in den nächsten. Und plötzlich standen sie im Rubens-Saal, wo Otto Grimminger mit wutverzerrtem Gesicht seine frisch bemalte Leinwand über die Köpfe hielt und versuchte, sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Die Staffelei lag zertrampelt auf dem Boden.
    „Helfen Sie ihm, los!“, schrie der Hofrat Kinsky zu, und der lotste den Kopisten in einen Seitenflur und in das angrenzende Kabinett. Bevor Schattenbach ihnen folgen konnte, blieb er in einem besonders dichten Gedränge vor der Medusa stecken. Was sich vor diesem Bild abspielte, versetzte den Hofrat in solche Abscheu, dass er sich auf die Zunge biss. Kleine Jungen hüpften auf den Armen ihrer Väter auf und ab und machten erschrockene Gesichter. Kleine Mädchen versteckten spielerisch ihre Gesichter zwischen den Rockfalten der Mütter. Man machte „Iiiih!“ und „Uuuuhh!“ und betrachtete das Rubens-Meisterwerk wie einen haarigen Affen, der die Zähne fletschte und alle in Angst und Schrecken versetzte.
    Kinsky schob sich ins angrenzende Kabinett, an dem die Menschen achtlos vorüberzogen.
    Schattenbach stieß zu ihnen. Hier waren sie erst einmal sicher vor dem Ansturm.
    Grimminger stand schwer atmend an der Wand, die Kopie der Medusa neben sich.
    „Herrgott, das ist ein Skandal!“, jammerte Kinsky.
    Doch der Hofrat spürte auf einmal wieder die ganze kühle Macht seiner Gedanken.
    „Sorgen Sie dafür, dass der Rubens sofort abgehängt wird!“, befahl er dem Museumsdirektor. Dann stahl sich ein zufriedenes Grinsen auf sein Gesicht. „Das ist der perfekte Vorwand, um das Bild verschwinden zu lassen.“

II
    „Haben Sie einen Verehrer, Kleines?“, fragte Maria Habermann, als Johanna ihr das Kissen aufschüttelte. Die ausgeblichenen Haare der Frau schwebten wie Gespinste aus Zuckerwatte zu Boden. Ihre Patientin war erst 60 Jahre alt, doch die Krankheit ließ sie aussehen wie eine Achtzigjährige.
    „Warum fragen Sie?“ Johanna wandte das Gesicht ab, damit Maria Habermann nicht sehen konnte, wie sie errötete.
    „Letzte Woche haben Sie noch nicht so gestrahlt. Und außerdem haben Sie ganz rote Ohren, Kindchen. Na kommen Sie, mir können Sie nichts vormachen.“
    Johanna seufzte und beschloss, die Wahrheit zu sagen. Sie schob der alten Frau behutsam das Kissen unter den Kopf und setzte sich auf die Bettkante.
    „Maria, ich muss Ihnen etwas sagen.“
    Die Frau ergriff Johannas Hand und drückte sie aufmunternd.
    „Ist es ein Patient? Nun sagen Sie schon.“
    „Es ist Ihr Sohn.“
    Maria Habermann verharrte reglos. Ihre tiefliegenden Augen ruckten plötzlich zur Seite, und sie löste den Griff von Johannas Hand, doch Johanna hielt sie fest. „Maria, ich

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