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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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das stimmt nicht. Wie lange arbeitest du schon im Museum? Einen Monat. In der kurzen Zeit kann man sich doch gar nicht alle diese Details merken!“
    „Ich weiß nicht, wie das kommt“, sagte Julius. „Ich erinnere mich nur daran, wie mein Vater mit mir dort war. Ich konnte damals kaum glauben, dass mir etwas so Schönes widerfährt, dass ich an so einen herrlichen Ort darf. Und weil ich traurig war, als ich wieder gehen musste, habe ich versucht, mir alles zu merken, was ich im Kunsthistorischen Museum gesehen habe.“
    „Woher wusstest du, dass du nicht mehr hinkommen würdest?“, fragte Johanna.
    „Weil wir nie Geld für solche Ausflüge hatten. Frag mich nicht, aber ich wusste einfach, dass ich nach diesem Besuch wieder zurückmuss in unsere elende Dachwohnung und dass alles so weitergehen würde wie vorher. Als ich an dem Abend im Bett lag, bin ich in Gedanken den ganzen Weg durchs Museum noch einmal gegangen. Ich habe versucht, die Bilder noch einmal zu sehen. Ich hatte Angst, ich könnte sie vergessen. Ich wollte mich daran erinnern. Für immer.“
    Er starrte nachdenklich in den Schnee. Johanna drückte seine Hand.
    „Das ist dir offenbar gelungen.“
    Julius blieb stehen. „Damals fand ich die Gemälde schöner als heute.“
    Eine eigenartige Traurigkeit breitete sich in ihm aus, und er beugte sich erneut hinunter zu Johanna und suchte ihren Mund. Sie empfing ihn wie selbstverständlich, als wäre dies hier schon immer Teil ihrer beider Leben gewesen.
    Julius hatte sich gerade entschlossen, die Freude über Johannas Zuneigung ungehindert in sein Inneres strömen zu lassen, als er neben sich ein leises hämisches Lachen hörte. Er löste sich von Johanna und blickte in die Richtung, aus der das Lachen gekommen war. Hoch über ihm, auf dem Rücken eines schneeweißen Pferdes, saß Luise von Schattenbach und amüsierte sich prächtig. Verwirrt sah Johanna zu Julius und folgte seinem Blick. Sie runzelte die Brauen.
    Luise von Schattenbachs Aufzug gewährte Julius jedoch nicht die kleine Freiheit, sich auf seine Begleiterin zu konzentrieren. Sie saß im Herrensitz dort oben und hatte einen nachtschwarzen Samtmantel mit rauchblauem Pelzbesatz an. Wie eine Königin thronte sie auf dem Rücken des Pferdes, das leise schnaubte und seine Nase in den Schnee senkte. Julius’ Blick heftete sich auf Luises Stiefel. Glänzende Lederstiefel, die wie gemeißelt in den Steigbügeln steckten. Ihre Hände in ebenfalls ledernen Handschuhen hielten das Zaumzeug. An ihrer rechten Seite wippte eine lange dünne Reitgerte.
    „Na, wen haben wir denn da?“, sagte sie, als wären sie alte Bekannte. „Julius! Bist du letzte Woche noch gut heimgekommen? Ich habe mir ein bisschen Sorgen um dich gemacht; du warst so außer Atem, als du gegangen bist.“
    Verwirrt starrte Johanna zu der elegant gekleideten Reiterin hinauf. Luise war einfach zu schön, zu strahlend, als dass eine einfache Frau sich nicht etwas ganz Bestimmtes gedacht hätte.
    Julius spürte den Zentimeter, den sie von ihm abrückte, wie eine aufbrechende Wunde.
    Und anstatt Johanna wegzuziehen, stand er stumm da und überlegte, mit welchen Worten er Luise seine Wut ins Gesicht schleudern konnte.
    Doch mit einem aalglatten Lächeln sagte Luise: „ Julius, ich freu’ mich ja so, dich hier zu sehen. Es ist so ein schöner Tag. Aber wer ist die Kleine da neben dir? Hast du wieder mal ein Serviermädchen verführt?“ Sie musterte Johanna gönnerhaft. „Nein, und was für nette Blumen er Ihnen mitgebracht hat. Mir bringt er so was nie mit; schade eigentlich.“
    Sie stieß ein helles Lachen aus. Die Reitgerte zuckte gegen ihre Lederstiefel, als würde sie mitlachen.
    „Was erlauben Sie sich?!“, zischte Julius.
    „Julius, kennst du diese Frau?“, fragte Johanna. Ihre Stimme klang nicht verärgert. Vielmehr so, als hätte ein Teil von ihr bereits erwartet, dass er derartige Wesen kannte.
    „Ich kenne sie, aber sie hat nichts anderes im Sinn, als andere zu zerstören. Und deswegen können wir genauso gut weitergehen und sie ihrer Wege ziehen lassen“, verkündete Julius. Er nahm Johanna beim Arm und wollte sie von Luise wegziehen. Doch die stieß ein tadelndes Zischeln aus, hob ihre Reitgerte und schob sie unter den Rand von Johannas Mütze. Dann riss sie sie zurück, und die wollene Mütze fiel in den Schnee. Sie machte ein erstauntes Gesicht und lächelte auf Johanna herab.
    „Nein, wie jung Ihr Gesicht aussieht, meine Liebe!“, rief sie aus. „Fast wie

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