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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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stand: „Die Sterne sind auf unserer Seite.“
    „Du willst wissen, ob es mir Glück bringt, dass ich mit einem Unglücksraben wie dir unterwegs bin.“
    Irrte er sich, oder drückte sie ihren Ellenbogen unter seinem Arm fester?
    „Du denkst, ich bin ein Unglücksrabe?“
    „Na, du kannst ja wohl nicht behaupten, dass es glückliche Umstände waren, unter denen wir uns über den Weg gelaufen sind.“
    Nein, dachte er, und auch heute sind es keine glücklichen Umstände. Es ist nur ein Ablenkungsmanöver.
    „Nein, da hast du recht. Was, wenn ich dir sage, dass es trotzdem einer der glücklicheren Zufälle in meinem Leben war?“, fragte er.
    „Du meinst, dass du im Krankenhaus gelandet bist? Wirklich ein glücklicher Zufall! – Komm“, rief sie dann, „wir können es bei einem Verkäufer versuchen, der Lose verkauft. Ich halte nichts von Horoskopen.“
    Sie zog Julius weiter und kramte ein paar Münzen aus ihrer Handtasche. Ihrem schlichten Kleid entströmte ein leichter Geruch nach Naphthalin, den sie nicht übertünchen konnte durch das billige Lavendelparfum, das sie offenbar benutzt hatte. Wenn es stimmte, dass es die Gerüche sind, die die Armen von den Reichen unterscheiden, dann kam Johanna wohl aus einem nicht allzu vermögenden Haushalt. Eine der adeligen Frauen hoch zu Ross hätte über sie die Nase gerümpft.
    „Willst du wirklich nicht einen Blick in die Zukunft werfen?“, neckte er sie weiter.
    „Du glaubst doch nicht, dass in Österreich-Ungarn auch nur ein einziger Planetenverkäufer herumläuft, der das weiß!“, antwortete sie.
    „Hättest du Angst, etwas über deine Zukunft zu erfahren?“
    Johanna blieb stehen und sah Julius vorwurfsvoll an. „Was hast du nur mit der Zukunft und mit dem Schicksal, Julius? Ich dachte, das, was du durchgemacht hast, hat dich eines Besseren belehrt. Bist du vielleicht auch noch gläubig? Ich meine katholisch?“
    Julius schüttelte den Kopf und betrachtete ihre geröteten Wangen.
    „Da bin ich aber erleichtert“, sagte sie. „Weißt du, was ich glaube? Diese Planetenverkäufer mit ihren Glückszetteln sind genauso große Lügner wie die Pfaffen. Nein, warte, vielleicht sind die Pfaffen sogar noch viel schlimmer.“
    Julius sah sich hastig um, ob auch niemand Johannas Worte gehört hatte. In Wien war es zwar nicht unbedingt gefährlich, ein Gegner der Kirche zu sein. Aber laut über die Kirche zu schimpfen war ungefähr so unerwünscht wie Kritik am Kaiser. Der Katholizismus war wie süßlich stickige Weihrauchschwaden, die die Menschen einlullen sollten, damit sie den Verwesungsgestank der Monarchie nicht wahrnahmen. Johanna schien eine zu feine Nase zu haben, um sich täuschen zu lassen.
    „Das hört sich an, als wärst du in der falschen Stadt, meine Liebe. In Paris würde niemand Anstoß nehmen an deinen Worten“, sagte er.
    „Das ist mir egal, Julius. Ich kann es nicht leiden, wenn jemand die Menschen glauben lassen will, es gäbe Mächte, die ihr Leben in der Hand haben. Ich meine, was ist denn eine Predigt in der Kirche anderes als so ein Horoskop. Beides ist der Versuch, ein kleines Türchen aufzustoßen in die Dimension, die uns eigentlich nur Angst macht. Und wir dummen Menschen können es nicht ertragen, dass wir keine Antwort auf unsere Fragen haben.“ Sie stach mit ihrem behandschuhten Zeigefinger in die Luft. „Und die Planetenverkäufer halten die Hand auf und locken uns mit einem Blick in die Zukunft. Wo ist da der Unterschied?“ Sie steuerte auf einen Losverkäufer zu.
    „Wann hast du Zeit, dir solche Gedanken zu machen?“, fragte Julius.
    „Oh, du meinst, weil ich ein ach so schweres Leben habe?“ Der Schalk, der in ihren Augen aufblitzte, war wie ein kleines Tier, das einen im nächsten Augenblick in den Finger beißt.
    Julius sah einen leicht verächtlichen Zug um ihren Mund, als sie sagte: „Das passiert ganz von allein, das mit den Gedanken, meine ich.“
    Johanna kaufte ein Los und steckte es, ohne hineinzuschauen, in ihren Beutel. Sie gingen weiter in Richtung des Wurstelpraters. Die Wendung, die ihr Gespräch genommen hatte, gefiel ihm nicht. Johannas Arm lag nur noch sehr locker und unverbindlich in seinem, und ihr Blick war ernst. Eine Weile lang sagten sie nichts. Julius begann sich zu fragen, ob sie etwas Bestimmtes von ihm erwartete. Irgendeine Galanterie, irgendein besonderes Gesprächsthema. Er fühlte sich plötzlich wie in einem fremden Land, in dem er weder Sprache noch Sitten kannte.
    Sie kamen an eine

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