Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
aneinandergereihter Blüten gefertigt war. Jede dieser stilisierten Blüten hatte in der Mitte einen roten Edelstein – oder in diesem Fall wahrscheinlich eher Glas, denn Efrussi konnte sich gewiss kein allzu teures Material leisten.
Alois Lanz packte seine Ledermappe etwas fester und starrte angestrengt in das Schaufenster.
Hastig stieß er die Tür auf und trat in die stickige Dämmerung des niedrigen Raumes. Der Laden war vollgestellt mit Vitrinen, deren Scheiben an ungespülte Milchgläser erinnerten.
Am Ende des Ladens brannte eine Lampe und erhellte das Gesicht des alten Juweliers.
Alois Lanz legte die Ledermappe auf den staubigen Tresen, auf dem ein Glas Tee und ein Teller mit einem Stück Brot mit Pflaumenmus standen.
„Erinnern Sie sich an mich?“, fragte der Künstler ohne große Vorrede.
Der Jude nickte und machte mit den Händen eine Geste, als hätte er eine Krone auf dem Kopf. Alois Lanz war erfreut. Der alte Mann war kein Freund vieler Worte, aber sie verstanden sich.
„Wie ist Ihre Geschäftslage? Haben Sie Zeit für einen Auftrag?“
Der Juwelier nickte und breitete lächelnd die Arme aus.
Alois Lanz drehte sich um und sagte: „Warten Sie einen Moment.“
Dann ging er zurück zum Schaufenster und holte den Armreif. „Das da. Wie viel kostet das?“
Der Juwelier runzelte die Brauen und schüttelte den Kopf.
„Ist schon verkauft“, sagte er. „An eine Dame.“
Nun gut, dachte der Künstler, dann war diese verwirrende Ähnlichkeit eben ein seltsamer Zufall, nichts weiter. Er legte den Armreif auf den Tresen, schlug seine Ledermappe auf und breitete drei Bilder vor Efrussi aus. Eines zeigte ein ausladendes, goldenes Geschmeide aus filigranen Blumen, das mit blauen, roten und weißen Steinen besetzt war.
„Das hier muss die Größe von einem Gürtel haben. Man muss es am Oberkörper tragen können.“
Die zweite Zeichnung zeigte einen breiten Armreif, ebenfalls mit Steinen in den drei Farben.
„Für einen Oberarm“, erklärte Lanz.
„Und das hier“, er zeigte auf die dritte Zeichnung, „ ist ein einfacher Armreif, so ähnlich wie … dieser hier.“ Er deutete erneut auf den Armreif aus dem Schaufenster und wunderte sich, dass dieses Schmuckstück genauso aussah wie jenes, das er in mühevoller Kleinarbeit gezeichnet hatte.
„Dazu brauche ich falsche Perlen für den Hals, dann Ohrringe und noch mal eine kleine Krone, ebenfalls aus falschen Perlen. Wie lange werden Sie dafür brauchen, und was kostet es?“ Er hob den Kopf und sah den Juwelier an.
Was ist denn mit dem los?, dachte Lanz verwirrt, als er die aufgerissenen Augen und den zuckenden Mund des Mannes sah.
Der alte Jude starrte entgeistert auf die feinen Skizzen und blinzelte. „Was ist das?“, fragte er und deutete argwöhnisch auf die Bilder. In seinem Gesicht lag ein Ausdruck des Abscheus, so als hätte Lanz ihn gebeten, Schweinefleisch zu essen.
„Das ist Ihr nächster Auftrag, und ich bezahle gut! Also?“
„Aber …“, antwortete Efrussi, „warum zwei Mal? Erst vor zwei Wochen habe ich das Gleiche schon einmal angefertigt.“
Lanz kniff die Augen zusammen. „Genau das Gleiche?“, fragte er lauernd.
„Haargenau. Das da …“, er nahm den Armreif und hielt ihn ins Licht, „ist als Letztes fertig geworden, und die Dame, die es bestellt hat, hat es noch nicht abgeholt.“
„Was für eine Dame war das?“
„Weiß ich nicht. Eine schöne, reiche Dame. Sie hat viel Geld bezahlt. Sie hat mir Glück gebracht. Jetzt kann ich einen Teil meiner Schulden bezahlen …“
„Moment mal!“, unterbrach ihn der Künstler. „Wollte die Dame auch Perlen?“
„Genau wie Sie!“, rief Efrussi und breitete fragend die Arme aus. „Was ist das hier? Ein Wettbewerb? Will jemand meine Handwerkskunst testen?“
Ein langer, mit tausend Zähnen bewaffneter Wurm wand sich das Rückgrat des Künstlers hinauf. Das hier war eine Falle, das wusste er.
Jetzt würde er seinen nächsten Geniestreich nicht durchführen können. Er hatte sich so darauf gefreut, eine blonde, üppige Frau nach dem Vorbild der Ruhenden Venus im Kunsthistorischen Museum auszustatten. Die Arbeitszeit des Juweliers hätte den Reiz erhöht, denn die schnell aufeinanderfolgenden und vollkommen problemlosen Morde der letzten Wochen hatten ihn ein wenig ermüdet. Er wollte wieder eine Weile warten, wieder Ungeduld und Spannung spüren. Vielleicht konnte er durch eine längere Pause bei den Menschen die Hoffnung wecken, der Serienmörder hätte
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