Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
bei einer kleinen Bäuerin aus Russland. Ich habe nicht gewusst, dass Julius auf so naturverbundene Mädchen steht!“
Das Wort naturverbunden betonte sie, wie nur eine adelige Dame es betonen konnte.
Julius war zu erschrocken, um sich nach Johannas Hut zu bücken. Ungläubig starrte er auf Luise. Er war gebannt vom Anblick der Gerte, die aus Luises lederbehandschuhter Hand herauszuwachsen schien und an Johannas Schläfe verharrte wie das Bein einer übergroßen Spinne.
Der grenzenlose Hochmut, der in dieser Geste lag, erschütterte Julius zutiefst. Da standen sie, die ersten beiden Frauen, die ihn in seinem Leben beschäftigten. Die eine strahlend und bösartig hoch zu Ross und die andere eingeschüchtert und blass auf dem verschneiten Weg, unfähig, sich aus dieser Erniedrigung zu befreien. Doch Luises herablassender Blick auf Johanna erzürnte ihn nicht, sondern verwandelte sein Inneres in zähen, klebrigen Sirup.
Johanna wollte sich nach ihrer Mütze bücken, doch die Gerte zuckte wieder und schob sich unter Johannas Kinn.
„Es wundert mich, dass Julius Gefallen an Ihnen findet, mein Kind. So wie ich diesen Mann hier kennengelernt habe, bevorzugt er eher exklusivere Damen. Sie sollten sich übrigens das Gesicht mit Zitronensaft einreiben, das lässt die Sommersprossen verschwinden.“
„Jetzt reicht es aber!“, stieß Julius endlich hervor und packte die höhnische Gerte. Er wollte sie Luise entreißen, doch deren Griff war unbarmherzig.
„Na, na, jetzt willst du wohl den Gentleman herauskehren, Julius. Glaubst du etwa, du könntest jetzt, wo ich dieses arme Mädchen über dich aufgeklärt habe, noch etwas wiedergutmachen?“
Johanna wich wortlos zurück, weg aus Luises Reichweite. Das Pferd trabte zu Johannas Mütze und schnappte danach. Die Demütigung war perfekt, und Luise klopfte dem Tier lobend den Hals.
„Julius, ich sage dir, dieses blasse Hühnchen hier ist nichts für dich. Halte dich an meinesgleichen. Und lass deine kleinen Ausflüge in die Niederungen bleiben. Außerdem glaubst du doch nicht etwa, dass ich dich noch einmal empfange, nachdem du bei so einer warst.“
Julius fühlte den Hass gegen diese Frau wie Magma, das in seinem Bauch hochstieg. Er griff erneut nach Johannas Arm, doch die entwand sich ihm gleich wieder.
Luise nickte zufrieden, tippte das Pferd mit der Gerte an und trabte davon.
Johanna bückte sich wortlos nach ihrer Mütze und schüttelte den Schnee ab.
„Ich kaufe dir eine neue …“, murmelte Julius beschämt.
Ohne ihn anzusehen, strich sie die Mütze glatt und sagte: „Weißt du, ich mag Überraschungen. Und ich habe mich gefreut, dass du mich mit dieser Einladung überrascht hast. Ich habe dich nämlich für schüchtern gehalten und mir schon überlegt, wie ich es anstellen kann, dich wiederzusehen, ohne schamlos zu wirken.“ Bis dahin klang ihre Stimme beherrscht und freundlich, fast verständnisvoll und ein klein wenig traurig. Doch dann wurde ihre Stimme eiskalt und abweisend. „Mit dieser Überraschung hatte ich allerdings nicht gerechnet“, fuhr sie fort. Ihre grauen Augen hatten sich in Bleikugeln verwandelt. „Dass du ein ebenso großer Lügner und Schwächling bist, wie es dein Vater offensichtlich war!“
Julius zuckte zusammen. „Lass mich dir das mit dieser Dame erklären. Sie ist die Frau des Hofrats, und sie hat …“
„Es ist mir egal, wer diese Dame ist“, unterbrach sie ihn. Ihre Stimme klirrte leise. „Niemand hat das Recht, so mit mir zu reden. Und es ist bezeichnend, dass du mit ihr zu tun hast.“
„Aber das habe ich doch gar nicht!“, rief Julius aus. Die Schmach, nun vor Johanna in ein schlechtes Licht gerückt zu werden, drückte ihn nieder. Was hatte er falsch gemacht, dass von einer Minute auf die andere alles zusammenbrach? Warum hatte Johanna nicht erkannt, was die böse Reiterin im Schilde führte? Doch was hatte er erwartet? Luise hatte ja den wunden Punkt getroffen.
Johanna schnaubte verächtlich, dann zischte sie: „Deine Mutter hat recht. Man sollte sich von dir fernhalten. Sie sagt, wenn du auch nur zu einem winzigen Teil so bist wie Joseph, kann man dir nicht über den Weg trauen.“
Jetzt sah sie trotzig aus, und in ihren Augenwinkeln glitzerte es feucht.
„Was sagst du da?“, hauchte Julius. „Meine Mutter?“
„Ja – Mitzi. Sie hat mich mit dem Kranz zum Grab deines Erzeugers geschickt, und ich pflege sie schon seit Monaten. Sie ist deine Mutter, und sie weiß, dass du da draußen herumläufst.
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