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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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vorstellen, ohne diesen Kerl aus dem Schatten treten zu sehen. Die pornographische Qual: einem anderen, der man einst selbst war, dabei zuzusehen.
    Wenn man eine Frau wie Consuela schließlich verliert, passiert einem das überall, an all den Orten, an denen man mit ihr zusammen war. Wenn sie fort ist, dann ist es geradezu unheimlich: Man sieht sie vor sich an diesen Orten, man sieht die Leerstelle dort, wo man selbst war, man sieht die Frau so, wie sie war, als man sie noch hatte, nur ist sie jetzt mit dem Fünfundzwanzigjährigen zusammen, der man nicht mehr ist. Man stellt sich vor, wie sie in dem kurzen, die Figur betonenden Kleid schreitet. Wie sie auf einen zuschreitet. Aphrodite. Dann ist sie vorbei, sie ist fort, und die Pornographie gerät außer Kontrolle.
    Ich erkundige mich nach ihren Freunden (doch was soll dieses Wissen mir schon bringen?), ich frage sie, mit wie vielen sie vor mir ins Bett gegangen ist und wann sie dail mit angefangen hat und ob sie jemals mit einer anderen Frau oder mit zwei Männern auf einmal (oder mit einem Pferd, einem Papagei, einem Affen) geschlafen hat, und das war der Augenblick, in dem sie mir sagte, es seien nur fünf gewesen. So attraktiv, so gepflegt und bezaubernd sie auch war - für ein modernes junges Mädchen hatte sie relativ wenige Freunde gehabt. Der mäßigende Einfluß ihrer reichen, respektablen kubanischen Familie (das heißt, wenn sie die Wahrheit sagt). Und ihr letzter Freund war ein beschränkter Kommilitone, der sie nicht mal richtig vögeln konnte und sich nur auf seinen eigenen Orgasmus konzentrierte. Die alte dumme Leier. Kein Mann, der die Frauen liebte.
    In ihren moralischen Anschauungen war sie übrigens nicht konsequent. Ich weiß noch, daß der Dichter George O'Hearn, der sein Leben lang mit derselben Frau verheiratet gewesen war, damals eine Geliebte hatte, die in Consuelas Nachbarschaft wohnte. Er saß mit ihr in einem Cafe in der Innenstadt und frühstückte, und Consuela sah die beiden und regte sich auf. Sie erkannte ihn von dem Bild auf der Rückseite seines neuesten Buches, das auf meinem Nachttisch lag, und sie wußte, daß ich ihn kannte. Abends kam sie zu mir. »Ich habe deinen Freund gesehen. Er hat um acht Uhr morgens mit einer jungen Frau in einem Cafe gesessen und sie geküßt - und dabei ist er verheiratet.« In diesen Dingen war sie so berechenbar banal, während sie in ihrer Affäre mit einem achtunddreißig Jahre älteren Mann so tat, als hätte sie sich von allen Konventionen gelöst. Da sie insgeheim unsicher war und manchmal den Boden unter den Füßen verlor, konnte es gar nicht anders sein; dennoch widerfuhr ihr etwas Besonderes, ein großes, unvorhergesehenes Ersatz-Etwas, das ihrer Eitelkeit schmeichelte, ihr Selbstbewußtsein stärkte und ihr Leben (im Gegensatz zu meinem) nicht auf den Kopf zu stellen schien. Bei einem meiner Verhöre erzählte mir Consuela, auf der Highschool habe sie einen Freund gehabt, der sich leidenschaftlich gewünscht habe, sie menstruieren zu sehen. Immer wenn sie ihre Periode bekam, mußte sie ihn anrufen. Dann kam er sofort zu ihr, und sie stand da, und er sah zu, wie das Blut ihre Beine hinunter- und auf den Boden lief. »Das hast du für ihn getan?« fragte ich. »Ja.« »Und deine Familie? Was war mit deiner konservativen Familie? Du warst fünfzehn, du mußtest im Sommer um acht Uhr abends zu Hause sein, und trotzdem hast du das getan? Deine Großmutter war eine Herzogin«, sagte ich, »und hat ihren Rosenkranz geliebt, und trotzdem hast du das getan?« »Ich war nicht mehr fünfzehn. Ich war damals schon sechzehn.« »Sechzehn. Ach so. Das erklärt alles. Und wie oft hast du das getan?« »Immer wenn ich meine Periode hatte. Jeden Monat«, sagte sie. »Und wer war der Junge? Ich dachte, Jungen durften dein Zimmer nicht betreten. Wer war er? Wer ist er?«
    Ein salonfähiger junger Mann. Ebenfalls Kubaner. Carlos Alonso. Ein sehr wohlerzogener, anständiger Junge, der in Anzug und Krawatte erschien, wenn er Consuela abholte, und nie einfach vorfuhr und auf die Hupe drückte, sondern hereinkam und ihre Eltern begrüßte, auf dem Sofa Platz nahm und sich mit ihnen unterhielt, ein zurückhaltender Junge aus einer guten Familie, die sich ihres gesellschaftlichen Status überaus bewußt war. Wie in ihrer eigenen Familie genießt der Vater großen Respekt, alle sind sehr gebildet, alle sprechen fließend zwei Sprachen, die Kinder besuchen die richtigen Schulen, die Eltern sind Mitglied im richtigen

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