Das sterbende Tier
Vollkommenheit. Ein junger Mann wird sie finden und sie mir wegnehmen. Mir, der ich ihre Sinne geweckt habe, der ich ihr Format gegeben habe, der ich der Katalysator ihrer Emanzipation war und sie für ihn vorbereitet habe.
Woher weiß ich, daß ein junger Mann sie mir wegnehmen wird? Weil ich einst der junge Mann war, der es getan hätte.
In jüngeren Jahren war ich nicht so anfällig. Andere wurden leichter eifersüchtig, doch mir gelang es, mich davor zu schützen. Ich ließ ihnen ihren Willen und war zuversichtlich, mich durch sexuelle Dominanz durchsetzen zu können. Aber Eifersucht ist natürlich die Falltür, die zum Kontrakt führt. Männer reagieren auf Eifersucht, indem sie sagen: »Kein anderer soll sie haben. Ich werde sie haben - ich werde sie heiraten. So werde ich sie einfangen: mit Hilfe der Konvention.« Die Ehe heilt die Eifersucht. Deswegen streben viele Männer danach. Weil sie sich der Frau nicht sicher sein können, bringen sie sie dazu, den Kontrakt zu unterschreiben: Ich werde nicht, et cetera.
Wie kann ich Consuela einfangen? Der Gedanke ist moralisch erniedrigend, und doch ist er da. Ich werde sie gewiß nicht halten können, indem ich sie frage, ob sie meine Frau werden will, doch auf welche andere Weise kann man in meinem Alter eine junge Frau halten? Was kann ich ihr in dieser Milch-undHonig-Gesellschaft, in der es einen freien Markt für Sex gibt, statt dessen bieten? Und daher ist das der Punkt, an dem die Pornographie beginnt. Die Pornographie der Eifersucht. Die Pornographie der eigenen Zerstörung. Ich bin fasziniert, ich bin gefesselt, aber ich bin außerhalb des Bildes. Was ist es, das mich außerhalb stellt? Das Alter. Die Wunde des Alters. Pornographie in ihrer klassischen Form ist etwa fünf oder zehn Minuten lang erregend - dann wird sie irgendwie komisch. Doch bei dieser Art von Pornographie sind die Bilder extrem schmerzhaft. Gewöhnliche Pornographie ist die Ästhetisierung der Eifersucht. Sie lindert die Qual. Was? Wieso »Ästhetisierung«? Warum nicht »Anästhesierung«? Nun, vielleicht ist sie beides. Gewöhnliche Pornographie ist eine Darstellung. Sie ist eine korrumpierte Kunstform. Sie ist nicht bloß eine Illusion, sondern durch und durch unecht. Man begehrt die Frau in einem Pornofilm, doch man ist nicht eifersüchtig auf den Mann, der sie vögelt, weil er ein Ersatz für einen selbst ist. Recht erstaunlich, aber das ist die Kraft, die sogar eine korrumpierte Kunstform besitzt. Er wird zu einem Stellvertreter, der einem zu Diensten ist; das mildert den Schmerz und verwandelt ihn in etwas Angenehmes. Weil man ein unsichtbarer Komplize ist, beendet gewöhnliche Pornographie die Tortur, wogegen meine Pornographie die Tortur fortsetzt. In meiner Pornographie identifiziert man sich nicht mit dem, der sein Verlangen stillt und befriedigt wird, sondern mit dem, der nicht befriedigt wird, der verliert, der verloren hat.
Ein junger Mann wird sie finden und sie mir wegnehmen. Ich sehe ihn. Ich kenne ihn. Ich weiß, wozu er imstande ist, denn er ist ich mit Fünfundzwanzig, noch ohne Frau und Kind; er ist ich im Rohzustand, bevor ich tat, was alle tun. Ich sehe, wie er sie beobachtet, während sie die große Plaza am Lincoln Center überquert - während sie über die Plaza schreitet. Er ist hinter einer Säule verborgen und sieht ihr zu, wie ich es an jenem Abend tat, als ich sie zu ihrem ersten Beethoven-Konzert ausführte. Sie trägt Stiefel, hohe Lederstiefel und ein kurzes Kleid, das ihre Figur betont: eine umwerfende junge Frau, die an einem warmen Herbstabend draußen unterwegs ist, die ganz unbefangen durch die Straßen geht, damit alle Welt sie bewundern und begehren kann - und sie lächelt. Sie ist glücklich. Diese umwerfende Frau wird sich gleich mit mir treffen. Nur daß sie sich in diesem pornographischen Film nicht mit mir treffen wird, sondern mit ihm. Mit dem, der ich einst war, aber nicht mehr bin. Ich beobachte ihn, während er sie beobachtet, und weiß bis in die letzte Einzelheit, was als nächstes passieren wird. Ich stelle es mir vor, und es ist unmöglich, die Gedanken in den Bahnen dessen zu halten, was man vernünftigerweise als das eigene Interesse auffaßt. Es ist unmöglich zu denken, daß nicht jeder bei dieser Frau mit solchen Gefühlen zu kämpfen hat, weil nicht jeder von ihr besessen ist. Nein, man kann sich nicht vorstellen, daß sie irgendwohin geht. Man kann sie sich nicht auf der Straße, in einem Geschäft, auf einer Party, am Strand
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