Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
Vom Netzwerk:
Country Club, man liest El Diario und den Bergen Record, man liebt Reagan und Bush, man haßt Kennedy: reiche Kubaner zur Rechten von Ludwig XIV., mit Wohnsitz in New Jersey - und Carlos ruft sie an und sagt: Krieg deine Periode nicht ohne mich.
    Man muß sich das vorstellen. Nach der Schule, das Badezimmer, ein Vorort in Bergen County, und die beiden sind von Consuelas Ausfluß so fasziniert, als wären sie Adam und Eva. Denn auch Carlos ist verzaubert. Auch er weiß, daß sie ein Kunstwerk ist, der seltene Glücksfall einer Frau, die ein Kunstwerk, ein klassisches Kunstwerk ist, Schönheit in ihrer klassischen Form, nur lebendig, lebendig - und was, liebe Schüler, ist die ästhetische Reaktion auf lebendige Schönheit? Begehren. Ja, Carlos ist ihr Spiegel. Männer sind schon immer ihr Spiegel gewesen. Sie wollen ihr sogar beim Menstruieren zusehen. Sie ist der weibliche Zauber, dem Männer sich nicht entziehen können. Ihr kultureller Firnis ist die erstklassige kubanische Vergangenheit, aber ihre Ermächtigungen entspringen ihrer Eitelkeit. Ihre Ermächtigungen entspringen dem Blick in den Spiegel und dem Satz: »Jemand anders muß das sehen.«
    »Ruf mich an, wenn du deine Periode kriegst«, sagte ich zu ihr. »Ich will, daß du herkommst. Ich will das auch sehen.«
     
Auch. So unverhohlen ist die Eifersucht,
    so fieberhaft ist das Begehren - und so kam es beinahe zu einer Katastrophe.
    Ich hatte inzwischen nämlich eine Affäre mit einer sehr attraktiven, sehr starken, verantwortungsbewußten Frau begonnen - ohne alte Wunden, die sie behinderten, ohne Laster oder exzentrische Ansichten, mit einem wachen Verstand, in jeder Hinsicht verläßlich, zu unironisch, um unbeschwert witzig zu sein, aber eine sinnliche, kundige, aufmerksame Liebhaberin. Carolyn Lyons. Vor vielen Jahren, Mitte der Siebziger, war auch sie meine Studentin gewesen. In der Zwischenzeit hatte jedoch keiner von uns nach dem anderen gesucht, und darum umarmten wir uns, als Carolyn eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit war und wir uns zufällig auf der Straße begegneten, und hielten einander umschlungen, als hätte uns damals eine Katastrophe für die nächsten vierundzwanzig Jahre getrennt (und nicht ihr Umzug nach Kalifornien, wo sie Jura studieren wollte). Jeder erklärte, der andere sehe großartig aus; wir erinnerten uns lachend an eine wilde Nacht in meinem Büro, als sie neunzehn gewesen war, sagten allerlei Zärtliches über unsere gemeinsame Vergangenheit und verabredeten uns sogleich für den nächsten Abend zum Essen.

Carolyn war noch immer schön:
    ein strahlendes Gesicht mit ausgeprägten Zügen, auch wenn ihre ziemlich großen Tränensäcke unter den blaßgrauen Augen inzwischen pergamenten und faltig waren, und zwar, wie ich vermutete, nicht so sehr wegen ihrer chronischen Schlaflosigkeit als vielmehr infolge jener Häufung von Enttäuschungen, wie man sie in den Biographien erfolgreicher berufstätiger Frauen in den Vierzigern, deren Abendessen meist in Plastik verpackt von einem Immigranten an die Tür ihrer Manhattaner Wohnung geliefert wird, nicht selten findet. Und ihr Körper nahm mehr Raum ein als früher. Zwei Scheidungen, keine Kinder, eine anspruchsvolle, sehr gut bezahlte Tätigkeit, die zahlreiche Reisen ins Ausland erforderte - all das summierte sich zu fünfunddreißig Pfund. Als wir ins Bett gingen, flüsterte sie: »Ich bin nicht mehr dieselbe«, worauf ich antwortete: »Glaubst du, ich etwa?« - und das war alles, was zu diesem Thema gesagt wurde.
      Während des Grundstudiums hatte Carolyn sich ihr Zimmer mit einer der Unruhestifterinnen der Universität geteilt, einer charismatischen Rebellin á la Abbie Hoffman. Sie hieß Janie Wyatt und stammte aus Manhasset, und der Titel der faszinierenden Hauptseminararbeit, die sie für mich schrieb, lautete: »Hundert Arten perversen Verhaltens in der Bibliothek«. Ich zitiere den ersten Satz: »Die Quintessenz ist die Fellatio in der Bibliothek: das geheiligte Vergehen, die schwarze Messe in der Universität.« Janie wog etwa hundert Pfund und war kaum größer als eins fünfundfünfzig - eine kleine Blondine, die aussah, als könnte man sie hochheben und ein bißchen herumwerfen, und sie war die dunkle Diva der Universität.
    Damals bewunderte Carolyn sie. Sie sagte zu mir: »Janie hat so viele Affären. Man ist in irgendeiner Wohnung, der Wohnung eines Doktoranden oder Assistenten, und im Badezimmer stößt man auf Janies Unterwäsche, die an den Wasserhähnen der

Weitere Kostenlose Bücher