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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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Nebenshow aufziehen. Dreißig Jahre später degeneriert eine Janie Wyatt zu einer Amy Fisher, die sich freiwillig zur Sklavin eines Automechanikers machen läßt, doch Janie war intelligent und eine geborene Organisatorin - ungezähmt, schamlos, ein frisches Mädchen, das auf der Welle der gesellschaftlichen Veränderung ritt. Die Vororte, wo Mädchen vor den Gefahren der Stadt sicher waren und man sie nicht unter Verschluß halten mußte, wo die Eltern nicht jede Sekunde ein Auge auf sie zu haben brauchten, die Vororte also waren es, wo sie ihren letzten Schliff bekamen. Die Vororte waren die Agora, wo die Erziehung zur Ungebührlichkeit erblühte. Die Überwachung ließ nach, man gab dieser Generation, die von Dr. Spock mit den Werkzeugen des Ungehorsams ausgestattet worden war, nach und nach mehr Raum - und sie erblühte. Und wie. Sie war nicht mehr zu bändigen.
    Das war die Verwandlung, über die Janie in ihrer Seminararbeit geschrieben hatte. Das war die Geschichte, die sie erzählte. Die Vororte. Die Pille. Die Pille, die für Gleichheit zwischen Mädchen und Jungen sorgte. Die Musik. Little Richard, der alles vorantrieb. Der Rhythmus, der auf das Becken zielte. Der Wagen. Die Jugendlichen, die zusammen im Wagen herumfuhren. Der Wohlstand. Der Pendelverkehr. Die Scheidung. Eine Menge Ablenkung für die Erwachsenen. Hasch und andere Drogen. Dr. Spock. All das, was sie zur »Herr der Fliegen«-Uni geführt hatte - das war der Name, den die Wilden Mädchen unserer Universität gegeben hatten. Janie führte keine revolutionäre Zelle an, die alles in die Luft jagen wollte. Janie war keine Bernadine Dohrn oder Kathy Boudin. Und auch die Betty Friedans sprachen sie nicht an. Die Wilden Mädchen hatten nichts gegen den gesellschaftlichen oder politischen Kampf einzuwenden, den diese Frauen führten, doch das war die andere Seite dieses Jahrzehnts. Die Turbulenz hatte zwei Hauptstränge: da war der Indeterminismus, der dem einzelnen orgiastische Freiheiten verlieh und im Gegensatz zu den traditionellen Interessen der Gemeinschaft stand, und da war - oft eng verbunden damit - die gemeinschaftliche Rechtschaffenheit, die für die Bürgerrechte und gegen den Krieg eintrat, der Ungehorsam, der sein moralisches Prestige von Thoreau bezog. Und diese beiden miteinander verflochtenen Stränge machten es schwer, die Orgie zu diskreditieren.
    Doch Janies Zelle war lustorientiert und verfolgte keine politischen Ziele. Und diese Lustzellen gab es nicht nur an unserer Universität, sondern überall, zu Tausenden: junge Männer und Frauen in gebatikten Kleidern, die nicht immer besonders gut rochen und sich unbekümmert miteinander vergnügten. Nicht die »Internationale« war ihre Hymne, sondern »Twist and shout, work it on out«. Direkte, schlüpfrige Musik, zu der man vögeln konnte. Musik, zu der man einen blasen konnte, der Bebop des Volkes. Natürlich ist Musik in sexueller Hinsicht schon immer nützlich gewesen, innerhalb der vorgegebenen Grenzen des Augenblicks, versteht sich. Damals, als sich Songs dem Sex noch durch schmalzige Texte nähern mußten, war selbst Glenn Miller in bestimmten Situationen ein probates Schmiermittel. Dann der junge Sinatra. Dann der sahnig weiche Klang des Saxophons. Aber die Grenzen, die den Wilden Mädchen gesetzt waren? Sie gebrauchten Musik, wie sie Marihuana gebrauchten: als Treibsatz, als Emblem ihrer Rebellion, als Auslöser für erotischen Vandalismus. In meiner Jugendzeit, in der Ära der Swingmusik, konnte man sich nur mit Alkohol in Stimmung bringen. Den Wilden Mädchen dagegen stand ein ganzes Arsenal von gründlich enthemmenden Mitteln zur Verfügung.
    Sie in meinem Seminar zu haben, bildete mich: Ich sah, wie sie sich kleideten, wie sie ihre Zurückhaltung über Bord warfen und ihre Derbheit enthüllten, ich hörte mit ihnen ihre Musik, ich rauchte mit ihnen Joints und hörte Janis Joplin, ihre weiße Bessie Smith, ihre schreiende, schräge, bekiffte Judy Garland, ich hörte mit ihnen Jimi Hendrix, ihren Charlie Parker der Gitarre, ich rauchte Gras mit ihnen und hörte, wie Hendrix die Gitarre rückwärts spielte, wie er alles umkehrte, den Beat verlangsamte, den Beat beschleunigte, ich hörte Janie ihr KiffMantra singen: »Hendrix und Sex, Hendrix und Sex« und Carolyn ihres: »Ein schöner Mann mit einer schönen Stimme« - ich sah die Prahlerei, die Gelüste, die Erregung dieser Janies, die die biologische Angst vor der Erektion, die Angst vor der phallischen Transformation des

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