Das sterbende Tier
Wesen dieses Aufruhrs erkannt hatte, entschlossen, diesem Augenblick einen persönlichen Sinn abzugewinnen, mich von meinen früheren und gegenwärtigen Loyalitäten zu lösen und das alles nicht halbherzig zu betreiben, mich nicht, wie viele meines Alters, unterlegen oder überlegen oder einfach stimuliert zu fühlen, sondern der Logik dieser Revolution bis zu ihrem Schluß zu folgen, ohne ihr zum Opfer zu fallen.
Das war nicht ganz einfach. Die Tatsache, daß es kein Mahnmal für jene gibt, die bei diesem wilden Treiben zu Schaden kamen, bedeutet nicht, daß es keine Opfer gegeben hätte. Ich denke dabei nicht unbedingt an Gemetzel -aber immerhin ging eine ganze Menge zu Bruch. Es war keine hübsche kleine Revolution, die auf einer beschaulichen theoretischen Ebene stattfand. Es war ein kindisches, absurdes, unbeherrschtes, drastisches Durcheinander, die ganze Gesellschaft befand sich in einem gewaltigen Aufruhr. Dabei gab es aber auch komische Elemente. Es war eine Revolution, die zugleich wie der Tag nach der Revolution war: ein großes Idyll. Die Menschen zogen ihre Unterwäsche aus und liefen lachend herum. Oft war es bloß eine Farce, eine kindische, aber erstaunlich weitreichende kindische Farce; oft war es bloß ein Kraftausbruch von Teenagern, die Pubertät der zahlenmäßig größten und stärksten amerikanischen Generation, die ihren Hormonschub erlebte. Doch die Wirkung war revolutionär. Die Dinge veränderten sich unwiderruflich.
Skepsis, Zynismus und der gesunde kulturelle und politische Verstand, der mich normalerweise von Massenbewegungen fernhielt, waren ein guter Schutzschild. Ich war nicht so high wie die anderen und wollte es auch gar nicht sein. Meine Aufgabe bestand darin, die Revolution von ihren unmittelbaren Paraphernalia zu trennen, von ihrem pathologischen Beiwerk, ihren rhetorischen Albernheiten, ihren pharmakologischen Sprengsätzen, die so manchen aus dem Fenster springen ließen, ich mußte die schlimmsten Auswüchse vermeiden, die Idee aufgreifen und umsetzen und zu mir selbst sagen: Was für eine Chance, was für eine Gelegenheit, meine eigene Revolution zu verwirklichen! Warum sollte ich mich zügeln, nur weil ich zufällig in diesem und nicht in jenem Jahr geboren bin?
Die Leute, die fünfzehn, zwanzig Jahre jünger waren als ich, die privilegierten Nutznießer der Revolution, konnten sich ihr hingeben, ohne weiter darüber nachzudenken. Sie war ein einziges rauschendes Fest, ein schmutziges, unordentliches Paradies, das sie sich - gewöhnlich mitsamt all seinen Banalitäten, all seinem Plunder - zu eigen machten, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Ich dagegen mußte nachdenken. Da war ich nun, noch immer im besten Alter, und das Land war dabei, in eine außergewöhnliche Phase einzutreten. Habe ich das Zeug dazu, bei dieser wilden, ungeordneten, ungebärdigen Verweigerung, bei dieser umfassenden Zerstörung der hemmenden Vergangenheit mitzumachen oder nicht? Kann ich nicht nur die Zügellosigkeit der Freiheit, sondern auch die Disziplin der Freiheit meistern? Und wie verwandelt man Freiheit in ein System?
Das herauszufinden kostete mich einiges. Ich habe einen zweiundvierzigjährigen Sohn, der mich haßt. Wir brauchen das hier nicht weiter zu erörtern. Worauf ich hinauswill, ist: Der Mob kam nicht, um meine Zellentür zu öffnen. Der blinde Mob war da, aber wie es sich traf, mußte ich meine Zellentür selbst öffnen. Denn auch ich war gefügig und grundsätzlich gehemmt, auch wenn ich mich, solange ich noch verheiratet war, aus dem Haus schlich und vögelte, mit wem ich nur konnte. Diese Art von Sechziger-Jahre-Erlösung hatte mir von Anfang an vorgeschwebt, doch am Anfang, an meinem Anfang, gab es nichts, was auch nur entfernt Ähnlichkeit mit einer allgemeinen Billigung für derlei Dinge besaß, keinen gesellschaftlichen Strom, der einen mitriß und davontrug. Es gab nur Hindernisse - eines davon war mein höfliches Wesen, ein anderes war meine provinzielle Herkunft und wieder ein anderes war meine Erziehung zu vornehmen Vorstellungen von Ernsthaftigkeit, die ich nicht ohne fremde Hilfe abstreifen konnte. Diese Erziehung durch Eltern und Schule verleitete mich zu einer häuslichen Existenz, die ich nicht ertragen konnte. Der Familienvater, gewissenhaft, verheiratet, ein Kind - und dann beginnt die Revolution. Das Ganze explodiert, und überall ringsum sind diese jungen Frauen. Was sollte ich tun? Verheiratet bleiben und weiterhin Seitensprünge machen und
Weitere Kostenlose Bücher