Das sterbende Tier
ich sie aus meiner verrückten Begeisterung für Consuelas Brüste unmöglich schöpfen konnte. Unsere harmonischen, unverträumten Abende im Bett, zu denen wir uns per Handy und zwischen allen anderen Tagesgeschäften verabredeten, wann immer Carolyn von einer ihrer zahlreichen Geschäftsreisen zum Kennedy Airport zurückkehrte, waren nun die einzigen Gelegenheiten, bei denen ich das Selbstvertrauen spürte, das ich aus meiner Zeit vor Consuela kannte. Mehr denn je zuvor brauchte ich die schlichte Befriedigung, die Carolyn nun so zuverlässig bot, da sie die Probe, auf die sie als Frau vom Leben gestellt worden war, stoisch bestanden hatte. Jeder von uns bekam genau das, was er wollte. Unsere sexuelle Beziehung war ein Gemeinschaftsunternehmen, von dem wir beide profitierten und das von Carolyns nüchterner, an der Welt der Wirtschaft geschulter Art gekennzeichnet war. Hier verband sich Vergnügen mit Ausgeglichenheit.
Dann kam der Abend, an dem Consuela ihren Tampon herauszog, in meinem Badezimmer stand, ein Knie an das andere gelegt, und wie Mantegnas heiliger Sebastian schmale Blutrinnsale an ihren Oberschenkeln hinablaufen ließ, während ich zusah. War es erregend? War ich entzückt? War ich fasziniert? Natürlich, doch andererseits fühlte ich mich wie ein kleiner Junge. Ich hatte das Äußerste von ihr gefordert, und als sie es mir ohne Scham gewährte, entwickelte ich schließlich abermals Ängste. Mir schien - wenn ich mich von ihrer exotischen Sachlichkeit nicht vollständig demütigen lassen wollte - nichts anderes übrigzubleiben, als vor ihr auf die Knie zu fallen und sie abzulecken. Sie ließ es zu, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Womit sie mich in einen noch kleineren Jungen verwandelte. Was für ein unmögliches Wesen man doch hat! Die Dummheit, man selbst zu sein! Die unvermeidliche Komödie, überhaupt irgend jemand zu sein! Jeder neue Exzeß schwächte mich weiter - aber was soll ein unersättlicher Mann sonst tun?
Ihr Gesichtsausdruck? Ich war zu ihren Füßen. Ich kniete auf dem Boden. Ich drückte mein Gesicht an ihren Körper, als wäre ich ein trinkender Säugling, so daß ich nichts von ihrem Gesicht erkennen konnte. Aber wie gesagt: Ich glaube nicht, daß sie verängstigt war. Consuela verspürte kein überwältigendes neues Gefühl, mit dem sie zurechtkommen mußte. Sobald wir die Präliminarien der Liebe hinter uns hatten, schien sie alles, was ihre Nacktheit in mir bewirkte, ganz leicht bewältigen zu können. Daß ein verheirateter Mann wie George O'Hearn um acht Uhr morgens öffentlich eine vollständig bekleidete junge Frau küßte, verwirrte sie - das war für Consuela das Chaos. Aber dies? Dies war nur eine neue Zerstreuung. Dies war etwas, was ihr widerfuhr, das körperliche Schicksal, das sie so leicht ertrug. Gewiß war die Aufmerksamkeit, die eine auf den Knien liegende Persönlichkeit des kulturellen Lebens ihr schenkte, nichts, was ihr das Gefühl gab, unbedeutend zu sein. Consuela hatte schon immer verführerisch auf Jungen gewirkt, ihre Familie hatte sie schon immer geliebt, ihr Vater hatte sie schon immer vergöttert, so daß ihre Theatralik instinktiv die Form von Selbstbeherrschung, Ruhe und einer Art statuarischen Gleichmuts annahm. Irgendwie war Consuela die Verlegenheit, die beinahe jeder mit sich herumträgt, erspart geblieben.
Das war an einem Donnerstag abend. Am Freitag abend kam Carolyn geradewegs vom Flughafen zu mir, und am Samstag morgen saß ich bereits am Frühstückstisch, als sie in meinem Frotteebademantel aus dem Badezimmer in die Küche marschiert kam und in der ausgestreckten Hand einen halb in Toilettenpapier gewickelten blutigen Tampon hielt. Erst zeigte sie ihn mir, dann warf sie ihn mir hin. »Du vögelst mit anderen Frauen. Sag mir die Wahrheit, und dann gehe ich. Das paßt mir nicht. Ich hatte zwei Ehemänner, die mit anderen Frauen gevögelt haben. Das hat mir damals nicht gepaßt, und heute paßt es mir genausowenig. Am allerwenigsten paßt es mir bei dir. Du hast eine Beziehung, wie wir sie haben - und dann tust du so was. Du hast alles, was du willst, und so, wie du es willst - vögeln ohne Häuslichkeit und ohne romantische Liebe -, und dann tust du so was. Es gibt nicht viele wie mich, David. Deine Interessen sind auch meine. Ich weiß, worauf es ankommt. Auf harmonischen Hedonismus. Ich bin die eine unter einer Million, du Idiot - wie kannst du also nur so was tun?« Sie sprach nicht wütend wie eine Ehefrau, geschützt durch die
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