Das sterbende Tier
Rüstung des historischen Anspruchs, sondern wie eine angesehene Kurtisane, aus einer unbestreitbaren erotischen Überlegenheit heraus. Sie hatte das Recht dazu: Die meisten Menschen bringen das Schlechteste in ihrer Biographie mit ins Bett - Carolyn dagegen brachte nur das Beste mit. Nein, sie war nicht wütend; sie war geschlagen und gedemütigt. Wieder einmal hatte ein unwürdiger, unersättlicher Mann ihre reiche Sexualität für nicht ausreichend erachtet. Sie sagte: »Ich werde mich nicht mit dir streiten. Ich will die Wahrheit wissen, und dann wirst du mich nie wiedersehen.«
Ich bemühte mich, so gelassen wie möglich zu bleiben und nur leise Neugier zu zeigen, als ich sagte: »Wo hast du das gefunden?« Der Tampon lag jetzt auf dem Küchentisch, zwischen der Butterdose und der Teekanne. »Im Badezimmer. Im Mülleimer.« »Tja, ich weiß nicht, wem er gehört und wie er dahin gekommen ist.« »Leg ihn doch auf dein Brötchen und iß ihn«, schlug Carolyn vor. Ich sagte nur: »Das würde ich, wenn es dich glücklich machen würde. Aber ich weiß nicht, wem er gehört. Und ich finde, bevor ich ihn esse, sollte ich das wissen.« »Ich kann das nicht hinnehmen, David. Es macht mich rasend.« »Mir kommt da eine Idee. Ein Verdacht. Mein Freund George«, sagte ich, »hat einen Schlüssel zu dieser Wohnung. Er hat einen Pulitzerpreis gewonnen, er hält Vorträge, er unterrichtet an der New School, er lernt Frauen kennen, junge Frauen, er schläft mit ihnen, und da er sie ja nicht gut nach Hause zu seiner Frau und seinen vier Kindern mitnehmen kann und es manchmal unmöglich ist, in New York ein Hotelzimmer zu kriegen, und er immer knapp bei Kasse ist und die Frauen verheiratet sind - viele von ihnen jedenfalls -, so daß sie nicht zu ihnen nach Hause gehen können« - bis jetzt war jedes Wort die lautere Wahrheit -, »bringt er sie manchmal hierher.«
Und das war gelogen. Es war die bewährte Lüge, mit der ich mich schon zuvor aus der Schlinge gezogen hatte, wenn im Lauf der Jahre das eine oder andere belastende Beweisstück aufgetaucht war, ein persönlicher Gegenstand irgendeiner Frau - wenn auch zugegebenermaßen nie ein so elementarer wie dieser -, der unabsichtlich oder mit Bedacht zurückgelassen worden war. Die bewährte Lüge eines ganz gewöhnlichen Lebemannes. Nichts, dessen man sich rühmen könnte.
»Aha«, sagte Carolyn. »Und mit all diesen Frauen vögelt George also in deinem Bett.« »Nicht mit allen. Aber mit manchen, ja. Im Gästezimmer. Er ist mein Freund. Seine Ehe ist alles andere als ein Paradies. Er erinnert mich an mich selbst, als ich verheiratet war. George fühlt sich nur rein, wenn er die Regeln verletzt. Sein Gehorsam macht ihn ganz krank. Wie kann ich da nein sagen?« »Für so etwas bist du zu ordentlich, David. Für so etwas bist du zu penibel. Ich glaube dir kein Wort. Alles in deinem Leben ist so geordnet, alles ist wohlüberlegt, so gründlich durchdacht...« »Na, das allein müßte dich doch überzeugen.« »Es war jemand hier, David.« »Niemand«, sagte ich. »Jedenfalls nicht mit mir. Ich weiß wirklich nicht, von wem dieser Tampon ist.« Es war eine heftige, angespannte Situation, doch ich rettete mich, indem ich Carolyn einfach ins Gesicht log, und zum Glück ging sie nicht, als ich sie am dringendsten brauchte. Sie ging erst später und auf meinen Wunsch.
Entschuldigen Sie, das Telefon. Ich muß drangehen. Entschuldigen Sie mich...
*
Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat.
Dabei war es nicht mal der Anruf, den ich erwarte. Tut mir leid, daß ich Sie so lange allein gelassen habe, aber es war mein Sohn. Er wollte mir sagen, wie sehr ihn das, was ich ihm bei unserem letzten Treffen gesagt habe, beleidigt hat, und sich davon überzeugen, daß ich seinen wütenden Brief bekommen habe.
Wissen Sie, ich habe nie angenommen, daß es leicht für uns sein würde, und vermutlich hätte er wohl auch begonnen, mich zu hassen, wenn niemand ihn dazu ermuntert hätte. Ich wußte, daß es eine schwierige Flucht werden würde, und ich wußte auch, daß ich es nur allein schaffen würde, über die Mauer zu klettern. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, ihn mitzunehmen, hätte das keinen Sinn gehabt, denn er war damals acht Jahre alt, und ich hätte nicht so leben können, wie ich wollte. Ich mußte ihn im Stich lassen, und das hat er mir nicht verziehen, und er wird es mir auch nie verzeihen.
Letztes Jahr ist er mit Zweiundvierzig zum Ehebrecher geworden, und seitdem
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