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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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anzuhören - Aufnahmen, die es übrigens ohnehin nicht gibt. Manche Passagen spielte ich im korrekten Tempo, die meisten allerdings nicht, doch ich spielte sie trotzdem. Verrückt, aber genau das tat ich. Bei Klaviermusik hat man das Gefühl, das nachzuvollziehen, was der Komponist getan hat, und darum tritt man bis zu einem gewissen Grad in seinen Geist ein. Nicht in jenen geheimnisvollen Bereich, in dem die Musik entstanden ist, aber immerhin gibt man sich nicht bloß passiv einer ästhetischen Erfahrung hin. Man produziert sie selbst, auf seine eigene unbeholfene Art, und so versuchte ich also, den Verlust von Consuela zu verwinden. Ich spielte die MozartSonaten. Ich spielte Bachs Klaviermusik. Ich spielte sie, ich kenne sie - das ist etwas anderes, als sie gut zu spielen. Ich spielte elisabethanische Stücke von Byrd und seinen Zeitgenossen. Ich spielte Purcell. Ich spielte Scarlatti. Ich habe sämtliche Scarlatti-Sonaten, alle fünfhundertfünfzig. Ich will nicht behaupten, daß ich sie alle gespielt habe, aber ich habe viele von ihnen gespielt. Haydns Klaviermusik. Die kenne ich jetzt auswendig. Schumann. Schubert. Und das alles, wie gesagt, ohne besonders viel Übung zu haben. Aber es war eine schreckliche Zeit, eine nutzlose Zeit, und für mich ging es darum, entweder in Beethovens Geisteswelt einzutreten oder in meiner eigenen zu bleiben und all die Szenen mit ihr, an die ich mich erinnern konnte, nochmals zu durchleben - auch, am schlimmsten von allen, jenen Augenblick, als ich leichtfertig beschloß, nicht zu ihrer Abschlußparty zu gehen.
    Aber wissen Sie, ich habe nie begriffen, wie gewöhnlich sie war. Diese Frau, die für mich ihren Tampon herauszieht, und dann ist sie fertig mit mir, nur weil ich nicht zu ihrer Abschlußparty komme. Daß etwas derart Starkes so beiläufig zu Ende ging, erscheint mir noch immer unglaublich.
    Die Abruptheit, mit der es zu Ende ging - ich durchlebe sie noch einmal, weil ich glaube, das Geheimnis dieser Abruptheit ist, daß Consuela diese Beziehung nicht mehr fortführen wollte. Warum? Weil sie mich nicht begehrte, nie begehrt hatte, weil sie mit mir experimentiert hatte, um zu sehen, wie überwältigend ihre Brüste sein konnten. Sie selbst jedoch hatte nie bekommen, was sie wollte. Das bekam sie von den Villareal-Brüdern. Natürlich. Da waren sie alle auf ihrer Party, umdrängten sie, umringten sie, dunkel, gutaussehend, muskulös, gesittet, jung, und ihr wurde bewußt: Was soll ich eigentlich mit diesem alten Mann? Ich hatte also die ganze Zeit recht gehabt - und darum war es richtig, daß es zu Ende war. Sie war so weit gegangen, wie sie gehen wollte. Hätte ich darauf bestanden, die Sache fortzuführen, dann hätte ich mir lediglich weitere Qualen bereitet. Das Klügste, was ich tun konnte, war, nicht dort aufzukreuzen. Denn ich hatte immer weiter nachgegeben, auf eine Art und Weise, die ich nicht verstand. Selbst als ich Consuela hatte, war die Sehnsucht ständig da. Sehnsucht war, wie gesagt, das beherrschende Gefühl. Ist es noch immer. Es gibt keine Erlösung vom Sehnen und von meinem Gefühl, ein Bittsteller zu sein. Das ist es: Man hat es, wenn man mit ihr zusammen ist, und man hat es, wenn man nicht mit ihr zusammen ist. Wer hat die Sache also beendet? Ich, indem ich nicht zu ihrer Party gegangen bin, oder sie, indem sie die Tatsache, daß ich nicht gekommen bin, zum Anlaß genommen hat? Das ist die endlose Debatte, die ich mit mir selbst führte, und das ist der Grund, warum ich, damit meine Gedanken aufhörten, unablässig um den Verlust von Consuela zu kreisen - damit ich aufhörte, fälschlicherweise immer wieder dieses eine Ereignis, die Party, als Hinweis auf alles zu begreifen, was ich verpatzt hatte -, oft mitten in der Nacht aufstehen und bis zum Morgengrauen Klavier spielen mußte.
    Es war nichts weiter geschehen, als daß sie mich zur Feier ihres Studienabschlusses nach Jersey eingeladen und ich ja gesagt hatte, doch als ich über die Brücke fuhr, dachte ich: Ihre Eltern werden dasein, ihre Großeltern, die kubanischen Verwandten, Kindheitsfreunde und -freundinnen werden dasein, diese Brüder werden dasein, und sie wird mich als den Professor vorstellen, der im Fernsehen auftritt.
    Und es war einfach idiotisch, daß ich nach diesen eineinhalb Jahren so tun sollte, als wäre ich nichts weiter als ein wohlmeinender Mentor der jungen Frau, besonders in Anwesenheit dieser verdammten Villareals. Ich war zu alt für diesen Quatsch, und darum hielt ich

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