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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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Hochsicherheitsgefängnis einzutauschen. Unterwegs von einer Zelle in die andere. Ich sage zu ihm: »Kenny, du willst die Erlaubnis und die Anerkennung? Stell dir vor: Von mir kriegst du beides, und zwar von Herzen gern.« Aber das reicht ihm nicht. Es reicht ihm nicht, daß er den einen Vater in diesem großen, weiten Land hat, der dem, was er tut, seinen Segen gibt und vielleicht sogar eine Verbindung mit einer anderen Schnepfe und ihrer wunderbaren Familie in Florida einfädelt. Nein, ich soll außerdem seine moralische Überlegenheit bestätigen. »Und auch noch Oboe«, sage ich. »Ist das nicht toll?
    Bestimmt schreibt sie in ihrer Freizeit Gedichte. Ihre Eltern ebenfalls.« Qualifikationen, Qualifikationen, Qualifikationen. Der eine kann nur vögeln, wenn ihn irgendeine Domina mit der Peitsche bearbeitet. Der andere kann nur vögeln, wenn die Frau als Zimmermädchen kostümiert ist. Manche können nur Zwerginnen vögeln, andere nur Kriminelle und wieder andere nur Hühner. Mein Sohn kann nur eine Frau vögeln, die über die richtigen moralischen Qualifikationen verfügt. Bitte, sage ich zu ihm, das ist eine Perversion, nicht besser oder schlechter als irgendeine andere. Gesteh es dir ein und hör auf, dir wie etwas Besonderes vorzukommen.
    Hier. Das ist der Brief, von dem er befürchtet hat, er könnte in der Post verlorengegangen sein. Er hat ihn letzte Woche geschrieben, gleich nachdem er nachts bei mir gewesen war. Als hätte ich in dem vergangenen Jahr, in dem wir Beleidigungen ausgetauscht haben, nicht schon zehn andere wie ihn bekommen. »Du bist hundertmal schlimmer, als ich dachte.« Das ist erst der Anfang. Das ist die Präambel. Es kommt noch mehr. Ich möchte es Ihnen vorlesen. »Du machst einfach immer weiter. Ich konnte es nicht glauben. Die Dinge, die Du zu mir gesagt hast. Du mußt immer recht haben, Du mußt immer beweisen, daß Du die richtige Wahl getroffen hast und daß meine Entscheidung feige, grotesk, falsch war. Ich bin in höchster Not zu Dir gekommen, und Du bist mir mit geistiger Roheit begegnet. Die sechziger Jahre - alles, was er heute ist, verdankt er der Tatsache, daß er Janis Joplin so ernst genommen hat. Ohne Janis Joplin könnte er niemals mit Siebzig der Inbegriff des jämmerlichen alten Narren sein. Die langen, weißen, bedeutenden Haare, zu einem Pagenkopf geschnitten, der faltige Hals, halb verborgen hinter einem modischen Halstuch - wann wirst Du anfangen, Rouge auf Deine Wangen aufzutragen, Herr von Aschenbach? Was glaubst Du, wie Du aussiehst? Hast Du auch nur die leiseste Ahnung? All diese Hingabe an die höheren Dinge. Dieses Besetzen der ästhetischen Barrikaden auf Channel Thirteen. Dieser einsame Kampf für die Wahrung kultureller Werte in einer Massengesellschaft. Aber wie sieht es mit der Wahrung des ganz gewöhnlichen Anstands aus? Natürlich hattest Du nicht den Mumm, im akademischen Leben zu bleiben und ernsthaft zu arbeiten; in Deinem ganzen Leben ist es Dir mit nichts je ernst gewesen. Janie Wyatt - wo ist sie jetzt? Wie viele gescheiterte Ehen hat sie hinter sich? Wie viele Zusammenbrüche? In welcher psychiatrischen Klinik ist sie all die Jahre behandelt worden? Diese jungen Frauen, die aufs College gehen - sollten sie nicht vor Dir beschützt werden? Du bist das lebende Argument dafür, daß man sie beschützen muß. Ich habe zwei Töchter - es sind Deine Enkelinnen - , und wenn ich mir vorstelle, sie gehen aufs College, und ihr Professor ist ein Mann wie mein Vater...«
    Und so weiter... bis... wollen mal sehen... ja, hier ist eine stärkere Stelle. »Meine Kinder haben Angst und weinen, weil ihre Eltern sich streiten und ihr Daddy so wütend ist, daß er gegangen ist. Weißt Du, wie es für mich ist, abends nach Hause zu kommen und meinen Kindern gegenüberzutreten? Weißt Du, wie es für mich ist, meine Kinder weinen zu hören? Nein, wie könntest Du das auch wissen? Und ich habe Dich in Schutz genommen. Ich habe Dich in Schutz genommen. Ich habe mich bemüht, nicht zu glauben, daß Mutter recht hatte. Ich habe Dich verteidigt, ich habe Dir die Stange gehalten. Das mußte ich - schließlich warst Du mein Vater. In Gedanken habe ich nach Entschuldigungen für Dich gesucht und mich bemüht, Dich zu verstehen. Aber die Sechziger? Dieser Ausbruch von Infantilismus, diese vulgäre, hirnlose kollektive Regression - das soll alles erklären und rechtfertigen? Hast Du keine bessere Erklärung? Wehrlose Studentinnen zu verführen und seine sexuellen Interessen

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