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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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auf Kosten aller anderen zu verfolgen - das ist unbedingt nötig? Nein, es ist nötig, eine schwierige Ehe nicht aufzugeben, ein kleines Kind großzuziehen und sich den Verantwortlichkeiten eines Erwachsenenlebens zu stellen. All die Jahre habe ich gedacht, Mutter würde übertreiben. Aber sie hat nicht übertrieben. Bis heute abend hatte ich kaum eine Vorstellung davon, was sie durchgemacht hat. Welche Schmerzen Du ihr zugefügt hast - und wozu? Welche Lasten Du ihr aufgebürdet hast, welche Lasten Du mir aufgebürdet hast, einem Kind, das alles für seine Mutter sein sollte - und wozu? Damit Du ›frei‹ sein konntest? Ich finde Dich unerträglich. Ich habe Dich schon immer unerträglich gefunden.«
    Und nächsten Monat wird er mich wieder besuchen, um mir zu sagen, wie unerträglich er mich findet. Und einen Monat später wieder. Und noch einen Monat später ebenfalls. In Wirklichkeit habe ich ihn gar nicht verloren. Endlich ist ihm sein Vater eine Stütze. »Ich bin's. Laß mich rein!« Er schafft es nicht, seine Situation mit Selbstironie zu betrachten, aber ich glaube, er begreift mehr, als er zugibt. Er begreift nichts? Aber er muß etwas begreifen. Er ist keineswegs dumm. Er kann sich nicht für alle Zeit von diesem Kindheitsdrama beherrschen lassen. Kann er doch? Tja, vielleicht. Wahrscheinlich haben Sie recht. In diesem Punkt wird er für den Rest seines Lebens empfindlich sein. Einer dieser zahllosen Witze: ein Zweiundvierzigjähriger, der untrennbar mit der Erfahrung verbunden ist, die er als Dreizehnjähriger gemacht hat, und den sie noch immer quält. Vielleicht ist es heute noch so wie damals im Baseballstadion. Er sehnt sich danach auszubrechen. Er sehnt sich danach, seine Mutter zu verlassen, er sehnt sich danach, mit seinem Vater zu verschwinden, aber das einzige, was passiert, ist, daß er sich die Seele aus dem Leib kotzt.
    *

Meine Affäre mit Consuela dauerte etwas länger als eineinhalb Jahre.
    Wir gingen nur noch gelegentlich aus, zum Essen oder ins Theater. Sie hatte zuviel Angst davor, von neugierigen Reportern entdeckt zu werden und auf Seite sechs zu landen, und das war mir ganz recht, denn wenn ich sie sah, wollte ich sie immer an Ort und Stelle vögeln und nicht erst noch irgendein beschissenes Theaterstück über mich ergehen lassen. »Du weißt doch, wie die Medien sind, du weißt, wie sie mit den Leuten umspringen, und wenn ich mit dir dorthin gehe...« »Gut, kein Grund zur Aufregung«, sagte ich freundlich, »dann bleiben wir eben hier.« Schließlich übernachtete sie bei mir, so daß wir gemeinsam frühstücken konnten. Wir sahen uns ein- oder zweimal pro Woche, und selbst nach dem Vorfall mit dem Tampon merkte Carolyn nichts davon. Dennoch fand ich keine Ruhe; ich konnte nie die fünf Jungen vergessen, mit denen sie vor mir gevögelt hatte und von denen zwei, wie sich herausstellte, Brüder waren - den einen hatte sie mit Achtzehn gehabt, den anderen mit Zwanzig -, kubanische Brüder, die reichen Brüder Villareal aus Bergen County, ein weiterer Grund für quälende Eifersucht. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn Carolyn und die herrlichen Nächte, die wir miteinander verbrachten, nicht einen so beruhigenden Einfluß auf mich gehabt hätten.
    Die Erregung, die ich verspürte, wenn ich mit Consuela zusammen war - im Gegensatz zu der Erregung, die ich verspürte, wenn ich nicht mit ihr zusammen war -, endete erst, als sie ihren Studienabschluß machte und drüben in New Jersey, im Haus ihrer Eltern, eine Party feierte. Natürlich wußten wir, daß es besser war, die Sache zu beenden, aber ich wollte sie nicht beenden und fühlte mich völlig verlassen. Beinahe drei Jahre lang überkamen mich immer wieder Depressionen. Solange ich mit ihr zusammengewesen war, hatte ich Qualen gelitten, doch nachdem ich sie verloren hatte, waren die Qualen hundertmal größer. Es war eine schlimme Zeit, und sie nahm kein Ende. George O'Hearn war ein Engel. Wenn meine Verzweiflung zu groß wurde, leistete er mir so manchen Abend Gesellschaft und redete mit mir. Und ich hatte meinen Flügel, und das half mir über den Berg.
    Ich habe Ihnen ja erzählt, daß ich im Lauf der Jahre viele Noten gekauft habe, Klaviernoten, und so spielte ich andauernd, immer wenn ich mit meiner anderen Arbeit fertig war. In diesen Jahren spielte ich alle zweiunddreißig Beethoven-Sonaten, Note für Note, nur um Consuela aus meinen Gedanken zu verbannen. Ich könnte niemandem zumuten, sich Aufnahmen davon

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