Das Sternenprogramm
Zukunft
zurück –, und wir wissen, dass sie nicht
funktioniert. Es wird ein großer Tag sein, wenn die
Zukunft verschwindet! Es wird ein großer Tag der
Befreiung sein, wenn die Armeen, die Funktionäre, die
Mitläufer, die Spekulanten der Zukunft verschwinden und es
endlich uns überlassen, den Rest unseres Lebens zu
gestalten!
Jordan blätterte neugierig an den Anfang des Buches
zurück und las es vollständig durch. Er brauchte
anderthalb Stunden dafür; entweder er las im Sitzen, oder er
wanderte umher und ging Kaffee holen, das Buch in Händen.
Als er fertig war, nahm er sich Wildes frühere Werke aus
Mohs Sammlung vor und las sie ebenfalls: Die Erde ist eine
spröde Geliebte, Schluss mit den Erdbeben – kurze,
flammende Manifeste, die er in wenigen Minuten überflog.
Wilde war von seinen Grundsätzen nicht abgerückt
– er war noch immer der gleiche libertaristische
Weltraumverrückte wie in seiner Anfangszeit –, doch
sein Verständnis der historischen Möglichkeiten hatte
sich seit der schwindelerregenden, kämpferischen Erregung
der Anfangszeit der Weltraumbewegung subtil gewandelt.
Anscheinend glaubte er nicht mehr, die von ihm vertretenen
Ansichten würden die Welt im Sturm erobern, und wollte dies
auch gar nicht mehr: ein in seinen frühen Schriften eher
theoretischer, nachsichtiger Respekt vor der Vielfalt hatte sich
nun zu einer Akzeptanz der Vielfalt aus Überzeugung und um
ihrer selbst willen vertieft, anstatt dass er sie als einen Pool
betrachtete, in dem der eine wahre Weg zu finden sei.
Postfuturismus war Wildes Art und Weise, mit dem Weiterleben
in seine eigene imaginierte Zukunft hinein umzugehen –
wenngleich in beschränkter, lokaler Form –, und sie,
wie er sagte, lediglich als Gegenwart aufzufassen. Jordan
bezweifelte, dass Moh mit dieser Ansicht voll und ganz
übereinstimmte – schließlich glaubte er noch
immer an eine sozialistische Zukunft und erhielt Botschaften aus
dem Nirgendwo –, doch die Verbindung zwischen dem
Postfuturismus und Jordans Abscheu vor den miteinander
wetteifernden Ideologien der Ministaaten halfen ihm zu verstehen,
weshalb Moh Jordans Ideen übers Kabel hatte verbreiten
wollen.
Ein schlauer Fuchs, dachte Jordan. Moh hatte gewollt, dass er
die Ideologien angriff, dass er die Ministaaten nach Kräften
schwächte, weil er auf diese Weise der ANR helfen
würde! Nicht, dass Moh großes Vertrauen in die ANR
gezeigt hätte, aber wie er selbst gesagt hatte: alles
Rationale war besser als dieser miefige, behagliche
Subtotalitarismus. Und das konnte auch nicht kurzfristig gemeint
gewesen sein: vor der Offensive der ANR blieb einfach nicht mehr
genug Zeit, als dass irgendjemand mit Worten etwas hätte
ausrichten können.
Doch nach der Offensive – wenn die Zukunft der ANR, die
Neue Republik, Gegenwart geworden wäre –, dann
könnte es Auswirkungen haben. Gemeinschaften wie die, aus
der Jordan stammte, die nur wenige Straßenkilometer
entfernte ideale Gesellschaft, könnten stürzen, wenn
man ihnen nur einen ordentlichen Schubs versetzte. Ihr
Selbstvertrauen zu unterminieren würde länger
dauern.
Also, warum nicht?
Entsprach das nicht seinen eigenen Überzeugungen? Wollte
er nicht genau das sagen?
Vor allem aber wollte er es einer bestimmten Person sagen.
Selbst wenn sie es niemals hören sollte. Er verließ
Mohs Zimmer, stieg die Treppe hinunter und betrat den Raum mit
den wartenden Kameras.
Zunächst war seine Stimme zögerlich, doch dann fand
er seinen Rhythmus und gewann Zutrauen.
»Hier ist Jordan Brown mit… mit der Atheistischen
Global-Village-Show. Meine Aufgabe ist es, zu unterhalten,
aufzuklären und Widerspruch herauszufordern.
Seit gestern um diese Zeit wurden vierzigtausend Menschen
plus/minus ein paar tausend getötet. Und zwar ganz legal,
gemäß dem berühmten Anhang zur Genfer Konvention,
in anerkannten Konflikten auf der ganzen Welt. Die Unbeteiligten
wurden gemäß Paragraph 78, Abschnitt 10, Absatz 3
getötet. Darin heißt es, Zivilisten dürften nur
dann mit Explosivwaffen getötet werden, wenn diese auf
legitime militärische Ziele gerichtet sind, und ja, ich habe
es nachgeprüft und kann euch versichern, dass den
zuständigen Behörden keine Fälle von Vergiften,
von Maschinengewehrsalven vor frisch ausgehobenen Gräben,
von Freisetzungen von Strahlung oder radioaktiven Substanzen oder
durchgeschnittenen Kehlen bekannt geworden sind.
Und woher wissen
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