Das Sternenprogramm
das Kissen feucht von Speichel und Schweiß. Er
wälzte sich herum und verschränkte die Hände unter
dem Kopf. Plakate schrien von den Wänden aus auf ihn ein.
Britische Truppen raus aus, englische Truppen raus aus, Londoner
Truppen raus aus, staatliche Truppen rein in. Solidarität
mit diesem. Solidarität mit jenem. Solidarität mit
Solidarität. (Was, zum Teufel, sollte das nun wieder
heißen?)
Die einander widersprechenden Aufforderungen drückten
eine Art Tadel aus. Moh hatte gewollt, dass er seine Ansichten
äußerte, dass er seine Vorstellungen über die
schmale Zufahrtsrampe des Kollektivs auf den Informationshighway
beförderte, und dafür hatte er bestimmt seine
Gründe gehabt. Jordan glaubte, einen davon zu kennen: und
zwar diente ihm das Ganze als Ausrede für seine Genossen
– alle erwarteten von Jordan, dass er in dieser Richtung
tätig wurde, und nahmen an, seine Nachforschungen wären
Recherche fürs Fernsehen. In gewisser Hinsicht waren sie das
auch – er hatte in den vergangenen Tagen eine Menge in
Erfahrung gebracht, zahllose Einzelheiten über die
Vorgänge in jener Welt, die Beulah City selbst an seiner
exponiertesten Schnittstelle ausblendete. Dies hatte ihn in
seiner Überzeugung, die er Moh gegenüber zum Ausdruck
gebracht hatte, und seinem Wunsch, den Menschen zu erklären,
wie sie ihr Leben besser – und länger –
gestalten könnten, wenn sie sich aus den Kämpfen
heraushielten, noch weiter bestärkt.
Über die Aussichten, die sich ihnen böten, wenn sie
sich denn von den Kämpfen fernhielten, hatte er im Grunde
wenig Neues zu sagen, wie er sich voller Bitterkeit eingestand.
Die gottlosen Evangelien hatten Antworten auf diese Frage parat,
Antworten, denen er zustimmte und die im Wesentlichen darauf
hinausliefen, das eine Leben, das einem gegeben war,
möglichst gut zu nutzen. Natürlich widersprachen sie
einander hinsichtlich der Umsetzung. Obwohl sie vom gleichen
Ausgangspunkt ausgingen, schlugen die einen vor, sich der Linken
anzuschließen, und die anderen, zur Rechten zu
stoßen, während ein großer Teil der erleuchteten
Geister die Ansicht vertrat, es sei am besten, umherzuschweifen
und Augen und Optionen offenzuhalten.
Jordan setzte sich unvermittelt auf und öffnete die
Augen. Für diese Haltung, diese Weltanschauung, gab es einen
Namen, der vor kurzem aufgekommen war: Postfuturismus. Diese
pragmatische, desillusionierte Haltung, die den Verzicht auf das
Ideal einer idealen Gesellschaft, auf die Umsetzung verstiegener
Modelle auf umkämpftem Gebiet propagierte, wurde weithin als
radikal-konservativ oder blind-subversiv gebrandmarkt. Vor ein
paar Jahren hatte es große Aufregung gegeben, als jemand in
einem modischen, kontroversen Buch dieses Etikett der ANR
verpasste – wie lautete noch gleich der Titel?
Jordan sprang plötzlich auf und durchsuchte Mohs Sammlung
von politischer Literatur, wühlte in Stapeln von Pamphleten
nach den wenigen Büchern mit festem Einband. Und da war es: Unterwegs zum Ende der Zukunft von Jonathan Wilde, dem
alten Guru der Weltraumbewegung. Er blätterte darin,
betrachtete lächelnd Mohs Unterstreichungen und die an den
Rand gekritzelten Anmerkungen voller Rechtschreibfehler. Eine
Aussage Wildes, die mit dicken schwarzen Linien unterstrichen,
mit Ausrufezeichen und einem ›Ja!‹ versehen war,
lautete folgendermaßen:
Abgesehen von der Weltraumbewegung selbst (die sich
paradoxerweise an einer Zukunft orientiert, die mittlerweile
zur Gegenwart geworden und mit allen Problemen derselben
behaftet ist), ist das Denken, das ich provisorisch
›postfuturistisch‹ genannt habe, stark –
wenn auch unbewusst – in den verschiedenen und
unausrottbaren Widerstandsbewegungen verhaftet, die sich gegen
die Hegemonie der US/UN wenden: dazu zählen die
Kasachische Volksfront, die Ex-Neokommunisten des NVK, die
nichtexistente, aber einflussreiche Verschwörung, die als
Letzte Internationale bekannt ist, die Armee der Neuen Republik
und viele andere.
Diese sind durch keine gemeinsamen Ideale verbunden –
ganz im Gegenteil. Da sie gute Gründe haben, zu
rebellieren, brauchen sie kein Ideal, kein
›Anliegen‹. Eine hartnäckige
Überzeugung ist ihnen allen gemeinsam: Keine
Neue-Welt-Ordnung mehr.
Ich möchte nicht verschweigen, dass ich ihnen in diesem
Punkt Recht gebe.
Denn wir haben die Zukunft gesehen – wir blicken
inzwischen auf jahrhundertelange Erfahrungen mit der
Weitere Kostenlose Bücher