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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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die gleiche Geste vollführte
und auf die gleiche Weise verhalten lächelte. Allein die
Kleidungsstücke unterschieden sich: hier der schmutzige, zu
große Overall, die Ärmel hochgekrempelt, auf der Stirn
ein Ölschmierer vom vorbeistreifenden Handgelenk; dort die
gestärkten Rüschen der Schürze über dem
tadellos passenden Kleid, die von der Hand, welche über das
Gesicht streifte, herabfallende Spitze des Aufschlags. Auf Jordan
hatte der Gegensatz eine erotische Wirkung: flüchtig
assoziierte er das zweite Bild mit den Werbeplakaten von Modesty,
die in seinem Schlafzimmer als Pin-ups gehangen hatten. Seltsam
dabei war, dass beide Aufzüge gar nicht sonderlich sexy
wirkten – eher im Gegenteil, denn der eine war geschlechts-
und formlos wie die Uniform einer puritanischen Kommunistin, der
andere züchtig, sozusagen der Inbegriff der Sittsamkeit
– gleichwohl brannte sich Cats Sexualität beides Mal
hindurch.
    Oder zumindest schien es so. Vielleicht lag es auch bloß
daran, dass er so frustriert war. Zu den befreienden
Entdeckungen, die er bei der Lektüre der humanistischen
Denker gemacht hatte, gehörte die Unschuld der
flüchtigen Masturbation, doch damit vermochte er sich hier
nicht zu trösten. Gemessen an historischen
Maßstäben war Beulah City gar nicht so schlecht: die
Kirchen verurteilten zwar vorehelichen Geschlechtsverkehr,
ermutigten aber zu früher Heirat; Homosexualität war
gesetzlich verboten (theoretisch unter Androhung der Todesstrafe,
in der Praxis aber war eine Verurteilung nahezu unmöglich,
und den Beschuldigten stand es frei, Beulah City den Rücken
zu kehren), und das galt auch für Abtreibung, wohingegen
Empfängnisverhütung geduldet wurde. Die einzigen
Scheidungsgründe waren Ehebruch und böswilliges
Verlassen, doch der öffentliche Bann für alle
expliziten Darstellungen von Sexualität ging einher mit
vernünftigem Rat für verheiratete Paare. Gleichwohl
blieb noch genügend Raum für sexuelle Unwissenheit,
Unvereinbarkeiten und geschlechtliche Not, von Heuchelei ganz zu
schweigen.
    Von BC in diesen Teil von Norlonto zu wechseln, das war, als
träte man aus einem klimatisierten Gebäude in einen
Hurrikan hinaus. Die allgegenwärtige Pornographie und
Prostitution stießen Jordan ab. Er war sich nicht sicher,
ob sein Widerwille von christlichen Überzeugungen
herrührte, die er ablehnte, oder von den humanistischen
Prinzipien, die er vertrat. Die Mitglieder des Kollektivs zeigten
kein Interesse an kommerziellem Sex, doch er spürte, dass
sie wenig davon hielten. Mit seinen sozialen Fähigkeiten,
die er für eine ganz andere Gesellschaft entwickelt hatte,
fiel es ihm schwer, die sexuellen Einstellungen und Beziehungen
der anderen einzuschätzen. Mary, Alasdair, Dafyd, Lyn, Tai,
Stone und die anderen waren wie Black boxes für ihn, durch
Pfeile des Begehrens miteinander verbunden.
    Auf Mary Abids langes schwarzes Haar und ihre großen,
dunklen Augen hatte er bereits einige Pfeile abgeschossen,
doch sie hatte etwas mit Stone (zumindest über diese
Beziehung war er sich mühelos klar geworden). Außerdem
hatte Jordan noch Gefallen an Tai gefunden und sich sogar –
schüchtern und verblümt – an sie ranzumachen
versucht, bis ihm aufgefallen war, dass das schlanke, kleine,
hübsche Mädchen aus Singapur gar kein Mädchen war.
Und er war auch nicht schwul, bloß für den Fall, dass
er einmal auf diesen nach wie vor abwegigen Gedanken verfallen
sollte. Also musste er sich bislang mit seinen höchst
unrealistischen Phantasien bezüglich Janis begnügen,
deren Bild während seiner Unterhaltungen mit Moh stets im
Hintergrund geschwebt hatte.
    Als er die beiden Fotos von Cat so betrachtete, schämte
er sich absurderweise. Er wollte keine Phantasien; er wollte sie
– dies war eine bewusste Unterscheidung, eine Offenbarung,
ein Entschluss – mit Haut und Haar. Man konnte sich nicht
in eine Unbekannte verlieben, in ein Gesicht auf einem Foto; doch
als er diese Fotos betrachtete, wünschte er sich nichts so
sehr, wie diese Frau zu finden, sie zu besitzen, sie festzuhalten
und zu beschützen. Und wenn er sie nicht bekommen konnte,
wenn sie ihn nicht haben wollte, dann könnte er zumindest
versuchen, sie dazu zu bringen, dass sie ihren schönen
Körper nicht mehr in diesen sinnlosen Kämpfen
gefährdete.
    Erschöpft und rastlos warf er sich bäuchlings aufs
Bett. Er schlief ein paar Minuten lang, dann wachte er wieder
auf,

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