Das Sternenprogramm
Ich wollte bloß mal sehen, ob die Hypothese
standhalten würde.«
Sie stockte; auf einmal wirkte ihr Gesicht leer.
»Ich weiß, ich kann mich darauf verlassen, dass
Sie dies für sich behalten werden – nicht weil ich
weiß, dass Sie sauber sind, ganz im Gegenteil. Schauen Sie
nicht so unschuldig drein! Meinen Sie – nein, Sie sind viel
zu klug, um etwas zu meinen –, ein Laden wie BC könnte
in der rauen Wirklichkeit mit zensierten Texten überleben?
Wir müssen über die Psychologie, die Denkweise der
Außenwelt Bescheid wissen. Glauben Sie mir ruhig, dass wir
das können und darauf vertrauen, dass Gott uns vor der
Verderbtheit bewahren wird! Die Ältesten und die Geistlichen
haben Dinge gelesen und gesehen – und Dinge getan –,
von denen sich Ihnen die Haare auf Ihrem verschlagenen, insgeheim
skeptischen Kopf sträuben würden! Die ANR!
Erzählen Sie mir nichts von der ANR – tun Sie
bloß nicht so, als würden sie nicht darüber reden. Die macht mir keine Angst. Was mir Angst
macht und wovor Gott mich bewahren möge, das ist das
Erscheinen des Uhrmachers.«
»Wer ist denn der Uhrmacher?«
Er wusste es bereits; er hatte das Buch gelesen. Er hoffte
bloß, dass sie nichts davon wusste.
»Sie können das Buch lesen«, sagte sie.
»Dann wird Ihnen einiges klar werden.«
Mrs. Lawson hantierte an der Kaffeemaschine herum, schenkte
zwei Tassen ein und nahm wieder Platz. Jordan nahm die Tasse
entgegen und blieb stehen. Er hätte gern gewusst, ob sich
die Tür wohl eintreten ließe.
»R. Dawkins, um neunzehnhundertachtzig. All das Gerede
über die Evolution des Lebens stört uns nicht. Für
den Fall, dass diese Theorie jemals zweifelsfrei bewiesen werden
sollte, haben wir Rückzugspositionen aufgebaut. Was viele
intelligentere Geister beunruhigte, war die Annahme, in
Computersystemen könnte eine natürliche Evolution
stattfinden, und zwar zwangsläufig. Die Vorstellung, aus den
Fehlern und Viren in der Software könnte Intelligenz
entstehen. Etwas Nichtmenschliches, nicht Engelsgleiches, sondern
etwas möglicherweise Diabolisches. Der Blinde Uhrmacher. Leben nach des Teufels Sinn – entstanden durch
Evolution, nicht mittels eines Schöpfungsakts.«
Sie verstummte und schaute ihn an, als blicke sie durch ihn
hindurch. Jordan verkniff sich einen verräterischen
Kommentar zur Verwechslung von Prozess und Produkt, von
Schöpfer und Schöpfung. So wie sich der Name
Frankenstein unlösbar mit dem Monstrum verbunden hatte, war
die längst vorausgeahnte, lange gefürchtete, spontan
entstandene künstliche Intelligenz mit dem Namen des
Prozesses verknüpft, der sie hervorbringen würde.
›Wenn der Uhrmacher kommt…‹ Ein weiteres
Fitzelchen der Gerüchte, die ihm hin und wieder in hastig
durchgelesenen Chatfiles vor Augen kamen, welche die Zensur
übersehen hatte. Eine weitere moderne Legende.
Er trank den Kaffee aus und fragte gereizt: »Ist das
sicher?«
Er kam sich vor wie frisch getauft und konfirmiert oder
jedenfalls initiiert, aufgenommen in eine andere
Glaubensgemeinschaft, eingeführt in das wahre Denken der
wahren Geister, welche hier das Sagen hatten – zwar immer
noch orthodox, aber doch nicht das, was sie zur Hauptsendezeit
über Satellit würden verbreiten wollen –, und ihm
fiel nichts Besseres ein, als zu seinem
selbstzerstörerischen Skeptizismus Zuflucht zu nehmen.
»Natürlich sind wir nicht sicher«, sagte Mrs.
Lawson. »Ach, Jordan, was wissen Sie denn überhaupt?«
Zwanzig Minuten später fuhr das System aus ebenso
unerfindlichen Gründen wieder hoch. Melody Lawson saß
in ihrem Büro und beobachtete stirnrunzelnd auf den
Monitoren, wie Jordan sich einloggte. Sie hatte ihn so gut wie
aufgefordert, von den naiven Grundüberzeugungen, die
für das Kirchenvolk gut genug waren, zum höheren Wissen
aufzusteigen, das notwendig war, um diese Form der geistigen
Schlichtheit zu schützen, doch er war nicht darauf
eingegangen. Jeder andere aufgeweckte junge Christ mit einem
wachen Verstand hätte sich wie ein Frettchen darauf
gestürzt, begierig darauf, eine Bestätigung für
seine kühneren Gedanken zu finden. Jordan war zweifellos
aufgeweckt, aber sicherlich kein Christ. Noch mehr ärgerte
sie, dass das, was seinen Glauben an Gott ausgehöhlt hatte,
auch seinen Glauben an sich selbst geschwächt hatte. Offene
Gottlosigkeit durfte nicht geduldet werden, damit hatte sie kein
Problem, aber heimlicher Atheismus war weit
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