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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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gegangen war, hatte sie ihren Status
überprüft, erfüllt von der widersinnigen Hoffnung,
er habe lediglich geblufft. Das hatte er natürlich nicht
getan. Sie war keine Gefangene mehr, sondern eine Patientin; man
hatte ihr empfohlen, für den Fall, dass sich die
verspäteten Folgen eines Schocks bei ihr zeigten, noch eine
Nacht lang zu bleiben, doch ansonsten stand es ihr frei zu
gehen.
    Die Krankenhausrechnung war bereits vom Konto des
Dserschinskij-Kollektivs beglichen worden. Da sie nun kein
Lösegeld mehr eintreiben konnten, würden sie die Summe
abschreiben müssen. Eine unbedeutende Summe und ein noch
kleinerer Trost. Sie beschloss, auch noch die Telefonrechnung in
die Höhe zu treiben, und rief die Hotline des
Bündnisses für Leben auf Kohlenstoffbasis an. Der
Rechner nahm ihre Nachricht kommentarlos entgegen und wies sie an
zu warten.
    Sie stellte Musik an und wartete.
    Die Reaktion überraschte sie. Sie hatte einen
unbedeutenden Funktionär erwartet. Stattdessen meldete sich
Brian Donovan, der Gründer und Vorsitzende des
Bündnisses für Leben auf Kohlenstoffbasis. Er tauchte
auf wie ein Gespenst, eine Halluzination, ein Alptraum:
zunächst eine scheinbar körperliche Gestalt am
Fußende des Betts, verwandelte er sich kurz darauf in ein
Gesicht im Fernseher und gleich wieder zurück, während
er die ganze Zeit aus dem Kopfhörer zu ihr sprach. Als wenn
sämtliche Geräte im Krankenzimmer verhext gewesen
wären. Am liebsten hätte sie exorzistische
Beschwörungsformeln gemurmelt. Donovan sah aus wie der
Geisterbeschwörer persönlich, mit langem grauem Haar
und langem grauem Bart. Er stapfte lautlos umher und fluchte
deutlich vernehmbar. Cat ertappte sich dabei, wie sie bis ans
Kopfende des Bettes hochrutschte, bis ihr auf einmal bewusst
wurde, dass Donovans Fluch gegen Moh gerichtet war.
    »… das hat mir gerade noch gefehlt. So etwas tut
mir niemand an, das nimmt sich niemand bei mir heraus.
Jedenfalls niemand, der am Leben hängt.« Er atmete
geräuschvoll ein; anscheinend hatte er ein Kehlkopfmikrofon.
Er blickte ihr unmittelbar in die Augen, was in Anbetracht der
Tatsache, dass er die Darstellungen miteinander in Bezug setzen
musste und vermutlich bloß das körnige Bild einer
Überwachungskamera in irgendeiner Ecke an der Decke vor sich
sah, eine erstaunliche Leistung darstellte.
    »So, Miss Duvalier«, sagte er, sich
allmählich beruhigend, »diesen Affront können wir
nicht hinnehmen.«
    Sie nickte rasch. Sie hatte einen zu trockenen Mund, um zu
sprechen.
    »Haben Sie was über dieses Schwein? Ich rede nicht
von seinen Passwörtern – die habe ich mir bereits
anhand der Lösegeldforderung von gestern Nacht besorgt, und
ich arbeite daran. Aber wo hängt er in der eigentlichen
Realität herum, hä?«
    Cat schluckte mühsam. »Ich möchte bloß,
dass die Angelegenheit geregelt wird«, sagte sie.
»Ich will keine Fehde anfangen.«
    »Ich habe eher an den Rechtsweg gedacht«, meinte
Donovan. »Sie ohne Lösegeldforderung freizulassen ist
so abwegig, dass es ihm schwer fallen dürfte, diesem Vorwurf
zu begegnen. Wenn ich ihn damit konfrontiere, möchte ich
möglichst viel Öffentlichkeit haben.«
    »Sie werden feststellen, dass er im Netz nur schwer
aufzuspüren ist«, sagte Cat. Sie merkte, dass er
allmählich in Rage geriet. »Aber«, fuhr sie
eilends fort, »ich kann Ihnen sagen, wo er sich für
gewöhnlich versteckt.«
    Der BLK-Vorsitzende hörte ihr zu, dann sagte er:
»Ich danke Ihnen, Miss Duvalier. Wir bleiben in
Verbindung.«
    »Wie wollen Sie das…?«, setzte sie an, doch
Donovan war bereits verschwunden.
    Im Kopfhörer dröhnte wieder der Presslufthammersound
der Tollwütigen Babys.
     
    Das Felix-Dserschinskij- Arbeiterverteidigungskollektiv hatte
ein Zimmer in einem der Studentenwohnheime gemietet, und dort
wohnte Kohn jetzt. Bett, Schreibtisch und Terminal, ein Schrank,
Regale, Kühlschrank, Wasserkessel. Die Tür so
dünn, dass es sich kaum lohnte abzuschließen. Moh
hatte Hammer und Sichel samt einer Vier darauf gemalt, was Wunder
wirkte, besser als Knoblauch, silberne Kreuze und Weihwasser
zusammen.
    Er rief das Kollektiv über das unverschlüsselte
Telefon an und hinterließ eine Nachricht, die besagte, er
nehme sich frei und wolle ein bisschen gute Musik hören,
wenn er heimkomme. In ihrer ständig sich wandelnden
Geheimsprache stand ›Musik‹ derzeit für
›Partei‹, und ›gute Musik‹ bedeutete,
ein

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