Das Sternenprogramm
Verwaltung
herauskopiert; Spuren von Taines Literaturrecherchen;
Molekularstrukturen, welche das chemische Analysegerät des
Gewehrs bestimmt hatte – alles in Dissembler
zusammengefasst, der erfolgreichsten und am weitesten
verbreiteten Freeware, die jemals geschrieben worden war, einem
selbstkorrigierenden, sich weiterentwickelnden
Compiler/Translator, der in der winzigen Lücke zwischen
Input und Output lebte. Prozesszyklen und Rechenleistung waren
seit jeher billiger als Bandbreite. Die Rechner wurden Woche
für Woche billiger, doch die Telefonrechnungen blieben
unverändert hoch. Dissembler nutzte diese Diskrepanz, indem
es Datenströme – ausgedünnt und verdichtet wie
Lyrik – in Bilder, Klänge und Text umwandelte, die
ständig an das Nutzerprofil angepasst wurden. Anonym und
ohne Copyright, hatte es sich wie ein nützliches Virus seit
einem Vierteljahrhundert immer weiter verbreitet. Mittlerweile
hatten nicht einmal mehr die Softwareentwickler, die es in
DoorWays™ – das topaktuelle, alle Verkaufsrekorde
sprengende Interface, an dem keiner vorbeikam – eingebaut
hatten, noch eine Ahnung, wie es funktionierte.
Moh hingegen schon, doch er versuchte, nicht darüber
nachzudenken. Das hatte mit seinem Gedächtnisproblem zu
tun.
Er schickte seine hastig programmierte Sonde los.
Geistlos intelligente Programme drangen in die Netzwerke der
Universität ein, breiteten sich aus wie ein beiläufig
ausgestoßener Rauchring, suchten nach Schwachstellen,
Fallen, Verschlüsselungsmustern, die vorübergehend
unbewacht waren. Die meisten würden den
Sicherheitsvorkehrungen zum Opfer fallen, doch es bestand die
Möglichkeit, dass eines durchkommen würde. Das
würde aber noch eine Weile dauern.
Kohn erhob sich und machte Anstalten, das eigentliche Gewehr
von der Smart-Box zu trennen, dem Zusatzmagazin, mit dem es
aussah wie ein Hund mit zwei Schwänzen, dann fiel ihm ein,
wohin er wollte, und hielt mitten in der Bewegung inne. Ob das
Gewehr nun intelligent war oder dumm, er konnte es nicht
mitnehmen. In diesem Punkt war der Zusatz zur Genfer Konvention,
die Gesetze der irregulären Kriegsführung betreffend,
unmissverständlich.
Die Universitätsfiliale der Nat-Mid-West-Bank grenzte an
ein Stück altes Brachland, das mittlerweile symbolisch
eingezäunt war. Darauf standen einige Holzbaracken, deren
Wände mit wüster pluralistischer Graffiti beschmiert
waren. Neosituationisten, alternative Maschinenstürmer (sie
trugen Raumfahrerkleidung und sprengten Windkraftanlagen in die
Luft), christliche Anarchisten, grüne Spinner, Saboteure,
Rote und Tories – alle taten sie in Farbe ihre Meinung
kund. Der Ort galt offiziell als Gefängnislager und wurde
von zynischen Geistern als Körperbank bezeichnet. Er war
unbewacht, und niemand versuchte zu flüchten.
»Dann wollen wir mal sehen, was wir haben, Mr.
Kohn«, trällerte die Frau am Schalter, während
sie sich mit trippelnden Schritten zum Terminal begab und etwas
eintippte, wobei sie sorgsam auf ihre Fingernägel achtete,
die einen Zentimeter über die Fingerspitzen hinausragten.
»Sie haben vier vom Bündnis für Leben auf
Kohlenstoffbasis, nicht wahr?«
»Drei«, sagte Kohn.
»Oh. Ja, ich verstehe.« Sie musterte ihn, und
zwischen ihren gezupften, nachgezogenen Brauen zeigten sich
kurzzeitig zwei hübsche Falten; dann senkte sie den Blick
wieder. »Also, wenn das nicht Ihr Glückstag ist. Einer
unserer Leute wird von den Planetarischen Partisanen
festgehalten, mit denen besteht eine Vereinbarung, dann
hätten wir schon einen weniger. Auf Wie-der-se-hen! Ihr
Freund wurde soeben freigelassen. Ah. Das BLK bietet zehntausend
Dockland-Dollars…«
»Nein, danke.«
»… oder eine entsprechende Warenmenge –
Waffen oder Neurochemikalien zu Tagespreisen – pro
Kämpfer, abzüglich der Verluste an
Ausrüstungsmaterial.«
»Was?«
Sie schaute hoch und klimperte mit den dicken schwarzen
Wimpern.
»Sie haben doch eine Zeitschaltuhr zerstört, oder
nicht?«
»Die war keine dreißig Erbsen wert!«
»Oh, das ist durchaus akzeptabel. Übergabe
wie üblich?«
»Im Ruislip-Depot. Ja, wir sind
einverstanden.«
Sie eilte in eine der Baracken und teilte Kohns drei Geiseln
mit, sie könnten gehen, dann ließ sie ihn die
Formulare unterzeichnen. Er sah sie heute zum ersten Mal. Sie
trug ein wehendes Chiffonkleid, hatte eine Unmenge brauner
Löckchen, dazu kamen hohe Absätze und Lipgloss. Nach
der
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