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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Beerdigung.
    Zeit verstrich. Er spürte die Katze an den Knöcheln.
Sein gewohntes Körperbild war wiederhergestellt worden. Das
andere war auch ganz interessant gewesen, bloß nicht so gut
geeignet zum Marschieren, Patin.
    Am Horizont bemerkte er ein Haus. Groß. Spanischer
Kolonialstil. Von Mauern, Wachtürmen und Stacheldraht
umgeben. Der Horizont endete irgendwo. Dahinter nichts als leerer
Raum. Er hätte nie gedacht, dass der Geist flach war, aber
vielleicht war das ja bloß logisch. Man gelangte niemals an
den Ausgangspunkt zurück.
    Am Tor stand ein Mann. Hemd mit offenem Kragen, die Hose
reichte fast bis zur Brust hoch. Er hielt ein Jagdgewehr in der
Hand und machte einen zu jungen und frischen Eindruck, um Angst
hervorzurufen; als Kohn ihm jedoch in die Augen sah, bemerkte er
darin etwas, das ihm bereits in seinem eigenen Blick aufgefallen
war. Und auch das Gesicht hatte er schon einmal gesehen, auf
einem verblassten Foto: einer von Trotzkijs Bewachern – der
gute alte Joe Hansen, oder der unglückliche John Hart? Kohn
fragte nicht danach.
    Der Wachposten besah sich Kohns Geschäftskarte.
    »Das hätte Eastman bestimmt gefallen«, meinte
er. »Gehen Sie rein. Sie werden erwartet.«
    Die Katze nickte dem Wachposten zu, als ob sie einander
kennten.
    Ein urwüchsiger Garten: überall Leitungen –
Telefonkabel, Stolperdrähte. Kaninchen hoppelten umher. Im
kühlen Innern des Hauses war es still. Am Ende langer
Gänge sah Kohn eilige junge Männer und Frauen, eine
alte Frau mit einem freundlichen, traurigen Gesicht, ein
rennendes Kind.
    Er trat durch die Tür des Arbeitszimmers. In den Regalen,
auf den Tischen, selbst auf dem Boden gab es mehr Bücher,
als er je gesehen hatte. Welche Norwegen, welche Sibirien hatten
bei der Herstellung des vielen Papiers dran glauben
müssen?
    Der Alte Mann saß hinter dem Schreibtisch, in der einen
Hand einen Füllfederhalter, in der anderen eine Ausgabe der
Zeitschrift Der Kämpfer. Als er aufsah, spiegelte
sich das Licht in seinem Kneifer.
    »Gäbe es den universalen Geist«, sagte er
umgänglich, »der sich in der wissenschaftlichen
Einbildungskraft von Laplace äußerte; einen Geist, der
gleichzeitig sämtliche Vorgänge der Natur und der
Gesellschaft zu registrieren vermöchte – dann
wäre er natürlich imstande, a priori einen
fehlerlosen und umfassenden Wirtschaftsplan aufzustellen.«
Der Alte Mann lachte und tat den Gedanken mit einer Handbewegung
ab. »Der Plan wird vom Markt geprüft und in
erheblichem Maße verwirklicht«, fuhr er mit strenger
Stimme fort. »Ohne Marktbeziehungen ist wirtschaftliches
Rechnungswesen undenkbar.«
    Er fixierte Kohn einen Moment lang, dann hellte sich seine
Miene auf, und er deutete zum Fenster.
    »Ich sehe den hellen Grasstreifen vor der Mauer und den
strahlend blauen Himmel über der Mauer, und überall
Sonnenschein. Das Leben ist schön. Mögen
zukünftige Generationen sie von allem Übel befreien,
von Unterdrückung und Gewalt, und sich ihr zur Gänze
erfreuen.«
    Die milden Worte, mit einem polyglotten Akzent in scharfem Ton
vorgebracht, trieben Kohn die Tränen in die Augen.
    »Es tut mir Leid«, sagte er. »Wir haben es
nicht besonders gut gemacht.«
    Der Alte Mann lachte. »Ihr seid nicht die Zukunft! Ihr
seid bloß die Gegenwart.«
    »Immer noch der alte Optimist, Lew Dawidowitsch, nicht
wahr?« Kohn musste unwillkürlich lächeln.
»Die Vergangenheit ist das Vorspiel – wollen Sie mir
das sagen?«
    Du hast noch gar nichts gesehen, dachte er.
    »Ich weiß mehr, als Sie meinen«, murmelte
der Alte Mann. »Sie wissen mehr, als Ihnen bewusst ist. Ich
soll Ihnen sagen, dass Sie aufwachen sollen! Seien Sie auf der
Hut! Wie Sie wissen, können kleine Entscheidungen
große Folgen nach sich ziehen. Kommt es nicht zur
sozialistischen Revolution, ist die ganze Menschheitskultur in
der nahen Zukunft vom Untergang bedroht. Die Schlachten
mögen vorgezeichnet sein, jedoch nicht ihr Ausgang: der Sieg
verlangt eine andere Art… Entschlossenheit.« Er
lächelte. »Gehen Sie jetzt, und ich hoffe, wir sehen
uns wieder.«
     
    Während seines Aufenthalts im Arbeitszimmer war der Gang
länger geworden. In mehreren hundert Metern Entfernung
erblickte Kohn eine Gestalt, die noch dunkler als der Korridor
war. Als sie näher gekommen war, bemerkte er einen
gegürteten Regenmantel, einen tief in die Stirn gezogenen
Hut. Unpassend an einem solch warmen Ort.
    In drei Metern Abstand

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