Das Sternenprogramm
Uniformität des Krankenhauses und dem Treibhaus-Einerlei
des Campus hatte er den Eindruck, es mit einem Transvestiten zu
tun zu haben. Als sie bemerkte, dass er sie anstarrte,
lächelte sie.
»Ich bin Feministin«, erklärte sie, als sie
ihm die Entlassungsformulare hinschob.
»Tatsächlich?«
Ihre Erscheinung passte nicht so recht zu den Erzählungen
seines Vaters.
»Ja, Feministin«, wiederholte sie in
scharfem Ton.
»Natürlich… Also, vielen Dank und alles
Gute. Hoffentlich bekomme ich es nie mit Ihren Kämpfern zu
tun!«
Das war eine Höflichkeitsfloskel, wie sie zur Anwendung
kam, wenn man zum ersten Mal einer neuen Gruppierung begegnete,
doch die Frau nahm die Bemerkung ernst.
»Wir haben keine Kämpfer«, sagte sie zu Kohns
sich eilig entfernendem Rücken. »Von Gewalt halten wir
nichts.«
Kurz nach Mittag, und er war bereits müde. Er würde
ein paar Stunden abschalten, dann ein Aufputschmittel nehmen und
nach Hause gehen. Damit die Genossen Zeit hätten, die Musik
auszuwählen.
Kohn wandte sich zum Wohnheim. Es kam ihm so vor, als habe er
Sand im Kopf. Er dachte daran, was die Schalterfrau gesagt hatte.
Eine Gruppierung ohne Soldaten. Mal sehen, was das Gewehr dazu
sagen würde. Manche Leute waren wirklich krank.
Auf einmal hatte er das Gefühl, er ginge schon
seit… seit einer ganzen Weile auf das Gebäude aus
rotem Backstein zu. Der von den Betonplatten des Gehsteigs
reflektierte Sonnenschein tat ihm in den Augen weh. Er klappte
die Brille herunter. Die Farben leuchteten noch immer: das grelle
Gelbbraun des verdorrten Grases, das blendende Grau des Betons,
die silberfarbene Bewölkung, durch die sich die Sonne
hindurchbrannte wie das verkleinerte Abbild eines umgedrehten
Vergrößerungsglases durch Papier. Es fiel ihm immer
schwerer, einen Fuß vor den anderen zu setzen, es wurde
kompliziert, eine mühsame Angelegenheit, einfach zu viel, er
kam nur noch im Schneckentempo voran. Schlimmer noch,
Assoziationsketten hallten durch seinen Kopf, verstärkten
sich gegenseitig, wurden verzerrt und moduliert – nein, das
traf es nicht ganz…
Kohn ließ nicht locker. Hartnäckig vorwärts zu
marschieren war eine seiner Stärken, das gehörte mit
zum Job.
Die Farben lösten sich wie beschädigte Netzhaut von
den Gegenständen und wirbelten wie in allen Farben funkelnde
Schneeflocken umher, so groß wie Eisberge, die völlig
lautlos die Erde durchstießen.
Gleichzeitig war ein Teil seines Verstandes so klar wie
Wasser. Er wusste verdammt gut, dass er unaufhaltsam in einen
anderen Bewusstseinszustand hinüberglitt. Vor ihm teilten
sich Gruppen von Studenten – sie flüchteten nicht
unbedingt vor ihm, aber wichen ihm nach rechts und links aus,
während er vorwärts stapfte, die Hände ineinander
gekrampft, die Augen unter der Brille verborgen, mühelos als
durchgeknallt zu erkennen. Er verstand nicht, was da vor sich
ging. Ob es vielleicht am Aufputschmittel lag oder an dem Joint,
den er im Labor geraucht hatte?
Hier schwirren psychoaktive Stoffe in der Luft herum, sagte eine Stimme in seinem Kopf.
Oje.
Er begann zu laufen. Schmale Wege entlang, über eine
kleine Brücke, eine Treppe hoch und über den Gang zu
seiner Zimmertür. Er stolperte ins Zimmer. Das Gewehr hob
sich auf dem Stativ; Kamera, IR-Augen und Geräuschsensoren
schwenkten umher.
HALLO wurde auf dem Monitor angezeigt.
Das Wort wiederholte sich auf der Bildschirmanzeige seiner
Brille, hallte in den Kopfhörern wider.
HINSETZEN. MANUELLE STEUERUNG.
Eine Hand streckte er zum Touchpad aus, die andere zur
Dateneingabe des Gewehrkolbens. Am Rande des Gesichtsfelds
tauchte dessen Bildschirmanzeige auf.
Der Schreibtischmonitor zeigte jetzt fraktales Schneetreiben
an. Kohn starrte hinein. Seine Hände bewegten sich
völlig unabhängig von ihm, die Finger in rasender
Bewegung begriffen. Die Bilder veränderten sich. Sie
ähnelten den Farbblöcken in seinem Kopf.
Veränderten sich erneut und waren nun ununterscheidbar von
den Farbblöcken in seinem Kopf. Immer wieder verschmolzen
sie miteinander, die Bilder der Außenwelt vermischten sich
mit denen der Innenwelt, veränderten sich mit ihnen.
Veränderten sie.
Etwas war in das Universitätssystem eingedrungen und
hatte eines seiner Agentenprogramme bis zum Gewehr
zurückverfolgt. Der Makrocomputer hatte den Mikro gehackt.
Und jetzt – jetzt pumpte er Botschaften durch die
Glasfasernerven in den Maschinencode seines
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