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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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blieb der Mann stehen. Er bog die
Krempe hoch, so dass Kohn nun undeutlich sein aufmerksames, aber
unnahbares Gesicht sah. Er trug eine Brille.
    »Wer sind Sie?«, fragte Kohn.
    »Ich heiße Jacson. Ich bin
verabredet…« Er neigte den Kopf zur Tür.
    Kohn trat vor. Was hatte Jacson da unter dem Mantel? Das
Gefühl, sich an etwas erinnern zu müssen, war bohrend
wie Gewissensbisse, als wüsste er, dass es ihm einfiele,
wenn er sich nur genügend konzentrierte.
    Jacson tat so, als wollte er sich an ihm
vorbeidrängen.
    »Nein, das stimmt nicht«, sagte Kohn.
    Er wollte Jacson beim Handgelenk packen. Jacson versetzte Kohn
einen Schlag gegen den Rippenansatz. Er schnappte nach Luft und
wirbelte herum. Weg von der Wand, bis er wieder Jacson zugewandt
war. Jacson hielt eine Pistole in der Hand. Kohn trat danach; die
Waffe flog in hohem Bogen durch die Luft. Kohn rutschte aus und
fiel gegen Jacsons Beine. Er schlug mit dem Kopf auf dem Boden
auf. Es wurde schwarz um ihn.
    Jacsons Knie trieben ihm den Atem aus der Brust. Als Kohn die
Augen öffnete, sah er Jacsons erhobene Hand, darin sein
infamer Eispickel, den er in Kohns Gehirn versenken wollte.
    Aber das ist mein Gehirn, dachte er verzweifelt und
warf sich zur Seite.
    Jacson heulte auf. Die Katze sprang ihm auf den Arm und grub
ihre Zähne in sein Handgelenk. Der Eispickel fiel klirrend
zu Boden. Jacson riss das Handgelenk zurück, worauf die
Katze ihm an die Kehle sprang. Kohn würgte. Jacson brach um
sich schlagend zusammen.
    Das Blut spritzte nach allen Seiten. Kohn stolperte durch
roten Nebel.
     
    Dann brach alles auseinander, doch es formte sich neu,
    und zwar zu grauen Lettern in seinem Geist, ähnlich den
Ziffern
    einer Uhr
     
    Muss mich mit dem Uhrmacher treffen muss den Mann treffen muss
den Hexer treffen.
    Eine Barriere aus freudiger Erwartung und Angst, und dann war
er durch. Nein, nicht er. Der andere war durch.
    Ein heikler, zögerlicher Moment, am Rande der
Indiskretion oder Grenzüberschreitung. Das Gefühl,
Augen warteten darauf, seinem Blick zu begegnen, und das Wissen,
dass es kompromittierend wäre, wenn es dazu käme. Er
entschied sich fürs Hinsehen. Keine Augen, niemand, aber
etwas, irgendein Ding, war da.
    Riesige Blöcke von Nachbildern verlagerten sich hinter
seinen Augen, nahmen eine Struktur an, die es ihm unmöglich
machte, seinen Blick scharf zu stellen. Er war so frustriert,
dass er vom Hals bis zum Unterleib Schmerzen hatte; die
elementare molekulare Sehnsucht des Enzyms nach dem Substrat, der
m-RNA nach der DNA, des Kohlenstoffs nach dem Sauerstoff. Die
Lust des Staubs.
     
    Er wurde sich bewusst, dass das unerträgliche Begehren
von außerhalb stammte oder vielmehr von etwas anderem als
ihm selbst. Er hatte das Gefühl, einer Verpflichtung
nachkommen zu müssen, und glaubte gleichzeitig, dies bereits
getan zu haben. Was immer es war, es hatte ihm den Schlüssel
zu seinem Gedächtnis ausgehändigt und wollte etwas
dafür haben: einen anderen Schlüssel, der in seinem
Gedächtnis verborgen war. Damit er diesen Schlüssel
hervorholen konnte, hatte es ihm den Schlüssel
überhaupt erst gegeben.
    Sich dem zuzuwenden, was da auf ihn wartete, machte es
erforderlich, einen Widerstand zu überwinden. Jetzt drehte
er sich langsam, schwerfällig um, kämpfte wie ein
Flugzeugpilot, der bei einer Kurve vom Beschleunigungsdruck in
den Sitz gepresst wird und sich bemüht, ein lebenswichtiges
Instrument abzulesen, gegen den Widerwillen an, sein
Gedächtnis anzuzapfen -
    sich den Erinnerungen zu stellen -
    sich über das Gesicht, das er nie gesehen hatte, hinaus
zu erinnern -
    über die Detonationen unbeantworteter Gewehre
hinaus -
    an die schöne Welt -
    an
    ›Die Sternenfraktion‹
    pass genau auf -
    ›das ist für die Sternenfraktion‹
    - die Stimme seines Vaters, und eine isolierte, für sich
stehende Erinnerung:
     
    Die ihn umfangenden Arme seines Vaters, der Geruch des
Zigarettenqualms, das blaue Morgenlicht, das durch die
vieleckigen Glasscheiben des geodätischen Dachs einfiel, das
grüne Licht des Monitors, die schwarzen Buchstaben, die wie
Lyrik einer unbekannten Sprache in gezackten Linien darüber
hinwegwanderten.
    Jetzt aber kannte er die Sprache und erkannte sie als den Code
des Schlüssels wieder.
    Und mit den Fingern begann er, ihn zu buchstabieren.
     
    Die Antwort schien auf einmal so leicht, dass jedes Kind
hätte sehen können, wie sie durch seine Fingerspitzen

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