Das Sternenprogramm
bin im Moment beschäftigt«, sagte das
Hologramm. »Wenn Sie mir eine Nachricht hinterlassen
möchten, sprechen Sie bitte nach dem Signalton.«
Nach einer Weile vernahm sie das Geräusch einer sich
nähernden Granate, gefolgt von einer leisen Detonation und
erwartungsvoller Stille.
»Verdammt«, sagte Janis und legte auf.
Sie marschierte aus dem Labor, stürzte die Treppe
hinunter und eilte über den Campus, immer wieder nach den
Gebäudeecken schielend, als könnte sich von dort
jederzeit ein Eindringling auf sie stürzen: ein Spinner oder
ein Saboteur oder… nein, daran wollte sie gar nicht
denken.
Sie dachte daran. Möglich war es schon, dass sie
überfallen wurde. Sie wollte nicht daran denken – wenn
man daran dachte, war alles aus; die Angst würde einen auf
der Stelle niederstrecken. Sie hörte auf, darüber
nachzudenken, wovor sie eigentlich flüchtete, und
konzentrierte sich auf ihr Ziel, auf den einzigen Ort, wo sie vor
ihnen sicher wäre und der für sie erreichbar war. Sie
ging schneller, dann begann sie zu laufen.
Sie rannte über Rasen und Pflaster, stapfte durch einen
kleinen Bach und blickte in fünf identische Eingänge
mit unterschiedlichen Bezeichnungen hinein, bis sie bei 110-115
angekommen war. Am Kopf der Treppe wurde sie langsamer, um das
Adrenalin allmählich wieder abzubauen. Kohns Tür zu
finden war leicht: sie lag am Ende des Gangs, beschmiert mit der
unangenehm sektiererischen Variante des kommunistischen Symbols,
das aussah, als habe man frisches Blut dazu benutzt.
Nach kurzem Zögern öffnete sie die Tür. Kohn
saß mit dem Rücken zu ihr, eine Hand auf den
Schreibtisch gelegt, die andere auf das Gewehr. Der Bildschirm
war leer. Kohn drehte sich um und sah sie an. Er hatte die Brille
an, und dahinter sah sie leere Augenhöhlen. Sie erstarrte.
Kohn stand auf und streckte die Hände nach ihr aus.
Sie versuchte, rückwärts auf den Flur auszuweichen.
Er packte sie bei den Oberarmen. Das Totenkopfgesicht hinter der
Brille blickte auf sie herab.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
Sie starrte ihn an und brachte keinen Ton heraus.
»Verdammt«, sagte Kohn.
Seine Wangenmuskeln zuckten, erst rechts, dann links. Er hatte
wieder Fleisch auf den Knochen und Augen. Er zog die Brille vor,
schob sie über den Helm hoch, dann ließ er sich auf
den Stuhl niedersinken.
»Tut mir Leid, Janis.«
»Puh…« Sie ließ den Atem stockend
entweichen und schüttelte den Kopf. »Ist das ein Bug
oder ein Feature?«
»Wollen Sie Bugfeatures?« Kohn machte Anstalten,
die Brille wieder aufzusetzen. Jane fiel ihm in die Hand.
»Nein, danke.«
Sie betrachtete seine Augen, und was sie sah, schockierte sie
beinahe ebenso wie zuvor die Hologramme. Diesmal aber verstand
sie, was es damit auf sich hatte. Die Bestürzung war Folge
des Begreifens. Ohne sein Handgelenk loszulassen, beugte sie sich
vor, nahm seine Stirn zwischen die Fingerspitzen und drehte
seinen Kopf, so dass sie die Augen besser sehen konnte. Die Iris
bildete einen schmalen Kranz um das Schwarz der geweiteten
Pupillen.
Alles führt überall hin…
»Sie sind auf einem Trip«, sagte sie. »Ich
fürchte… Sie haben etwas im Labor abgekriegt,
außerdem haben Sie geraucht. Verstehen Sie?«
»Ich verstehe.« Seine Stimme hatte einen
merkwürdigen Klang, als gäbe er die Antwort auf eine
ganz andere Frage. Janis runzelte die Stirn. In welchen
Labyrinthen war er gefangen gewesen? Die schwarzen Löcher
erwiderten ihren Blick.
»Wie fühlen Sie sich?«
»Schwer«, antwortete Moh. »Sand in den
Adern.«
»Haben Sie Vitamin C?«, fragte sie und schaute
sich um. »Damit kommt man nämlich leichter
runter.«
Ehe sie protestieren konnte, stand Kohn auf und näherte
sich mit größter Vorsicht einem kleinen
Kühlschrank in der Zimmerecke. Er biss einen 1-Liter-Karton
Orangensaft auf und stürzte den Inhalt hinunter. Dann
ließ er sich aufs Bett fallen und schloss die Augen.
»Oh, Scheiße«, sagte er. »Danke
für den Rat, aber das macht keinen großen Unterschied.
Ich bin wirklich down. Ich war dort und bin zurückgekommen,
Janis. Das war kein Trip. Das war die Wirklichkeit.«
Du meine Güte, dachte sie, den hat’s ja richtig
schlimm erwischt.
»Oh«, meinte sie. »Und wie ist
sie?«
»Sie ist alles«, antwortete er.
Alles: Erinnerungsfugen stürzten auf ihn ein;
jedes noch so kurze Abgleiten, jedes Nachlassen der
Aufmerksamkeit hinsichtlich dessen, was im Moment vorging,
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