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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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hatte
zur Folge, dass er stolperte und ausrutschte, zur Seite ausbrach,
während sich im langsamen Jetzt weitere Laute
bildeten, während die Photonen eintrafen und Bilder formten,
während die eine Bewegung sich vollendete und die
nächste einsetzte. Der freie Wille stand im Verdacht der
Determiniertheit, die Philosophie der Jahrtausende fiel aus
dieser Millisekundenlücke herab. Ich werde wohl damit leben
müssen, dachte er, dann wurde ihm bewusst, dass er es
bereits tat.
    Alles: Die Tageswelt das leuchtende Banner das
unmissverständliche Symbol der Grüngürtel Felder
die Grünfelder Straßen die geodätischen
Gebäude die Menschen die stillen dunklen Momente.
    Alles: Die Plastikmodelle der Raumschiffe
aufgehängt an schwarzen Fäden das alte Poster des
Warschauer Pakts mit dem kleinen Mädchen die Erde in den
Armen wiegend DEN FRIEDEN VERTEIDIGEN die Regale voller Spielzeug
und Bücher und Musikkassetten der VR-Helm.
    Alles: In das Zimmer in der Mitte des Hauses schleichen
um seinem Vater dabei zuzusehen wie er am CAL-Projekt arbeitet
kein Laut bloß das Klicken der Maus die Hardware fixiert
den Ohrwachsgeruch des Lötzinns.
    Alles: Die blaue Scheibe die in Abschnitte unterteilte
Kugel die weißen Blätter die Linsen und das Schwenken
der Mündung.
    Alles: OKAY, JETZT KANNST DU SIE DIR VORNEHMEN.
    Alles.
     
    Er öffnete den Mund, und ein Laut kam heraus: ein
Schluchzen und ein Knurren, menschlicher Schmerz und animalische
Wut. Er riss sich den Helm herunter, wälzte sich über
die Bettkante und fiel auf den Boden. Kohn ließ die
Hände am Kopf, krallte die Finger in seinen Schädel.
Tränen quollen unter den Handballen hervor und rannen mit
quälender Langsamkeit die Wangen hinunter.
    Er setzte sich auf und senkte den Kopf, die Hände darum
verschränkt, zwischen die Knie und schaukelte minutenlang
vor und zurück. Der Zeitablauf hatte sich wieder nahezu
normalisiert. Diese tosenden Windstöße waren sein
Atem, die in der Ferne dröhnende Brandung sein Herz. Das
schwindelerregende schwarze Gewölbe leuchtender Bilder, das
nachhallende Geflüster winziger Wesenheiten, die in
Erinnerungsschleifen gefangen waren, die quasselnden
Unterhaltungen, die rasselnden Berechnungen – so sah sein
Kopf von innen aus. Das war er selbst.
    Er unternahm eine verzweifelte Anstrengung, das Ganze in den
Griff zu bekommen, unter Kontrolle zu bringen. Dann sah er das
rasende, wirbelnde, schnappende Selbst wie von außen,
wandte sich davon ab und sah (natürlich):
     
    nichts
    ein Licht auf keinen Blick
    eine Leere, angefüllt mit dem Echo eines Gelächters,
ähnlich einem 2726° K-Hintergrund
    ein Moment amüsierter Erleuchtung
    nichts
    alles
    ach
    ich
    also warst du es die ganze Zeit
     
    Er lächelte, öffnete die Augen und sah Janis. Sie
saß vorgebeugt auf dem Stuhl neben dem Bett, die
grünen Augen verschleiert, die Brauen zusammengezogen, die
Hände auf den Knien. Verwirrung und Besorgnis lag in ihrem
Blick und jenseits dieser Emotionen ein distanziertes,
beobachtendes Interesse. Er roch ihren Schweiß aus dem
Parfümduft heraus, sah, wo die Bluse an der Haut klebte. Er
sah das Blut hinter der künstlichen Blässe ihres
Gesichts.
    Sie war wunderschön. Sie war unglaublich. Das aus dem
Fenster einfallende Licht leuchtete in ihren Augen und funkelte
in den Härchen auf ihren Handrücken. Er hätte jede
einzelne Linie ihrer Gliedmaßen unter der allzu strengen
Kleidung nachziehen können; er wollte ihr stoffumschlossenes
Handgelenk befreien und es in der Hand halten. Für ihre
Gestalt, ihre wahre Gestalt, ihre Stimme und ihren Duft –
für alles gab es einen Platz, einen Platz in seinem Geist,
der ihr vorbehalten war. Die Vorstellung fiel ihm schwer, dass
sie bereits am Morgen so ausgesehen hatte; doch die Bilder waren
scharf, er hatte sie bloß nicht bemerkt.
    Er sah, wie sich ihr Gesicht veränderte, wie es eine
Sekunde, nachdem er die Augen aufgeschlagen hatte, zusammenzuckte
– ihre Lippen teilten sich, als wollten sie etwas sagen,
und dann das unbewusste Kopfschütteln, der rasch zur Seite
und wieder zurück schwenkende Blick; und dann kam ihr
Gesicht zur Ruhe, noch einmal der forschende Blick, der besagte:
›Nein, das habe ich nicht vorausgesehen.‹ Sie
lächelte erleichtert und richtete sich gerade auf,
schüttelte sich das Haar zurück.
    »Sie sind runtergekommen«, sagte sie.
    Kohn nickte. Er stellte fest, dass er die Fötalhaltung
aufgegeben hatte

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